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Die Bibliothek der Schatten Roman

Die Bibliothek der Schatten Roman

Titel: Die Bibliothek der Schatten Roman
Autoren: Mikkel Birkegaard
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Urteilsfindung zurück, während sich die Zuschauer unwillig erhoben wie eine Schulklasse, deren Ausflug zu Ende geht. Der Staatsanwalt kam zögernd zu Jon und reichte seinem Konkurrenten mit anerkennendem Nicken die Hand. Während Muhammed zu seinen Freunden ging, die ihn lärmend in Empfang nahmen, schob Jon seine verstreuten Papiere zu zwei ordentlichen Stapeln zusammen.
    »Glückwunsch, Campelli«, ertönte hinter ihm eine heisere Stimme, und jemand klopfte ihm auf die Schulter. Jon drehte sich um und sah sich einem der drei Seniorpartner der Anwaltskanzlei, Frank Halbech, gegenüber.
    Halbech trug wie Jon einen schwarzen Anzug, Valentino, aber seine fein manikürten Finger verrieten, dass dieser Mann sich nicht mehr selbst die Finger schmutzig machte, dafür hatte er seine Leute. Er war vor fünf Jahren, im Alter von 45 Jahren, Miteigentümer der Kanzlei geworden, und seinem Äußeren
nach zu urteilen, nutzte er seine Zeit jetzt für Besuche in Friseursalons, Solarien und Fitnesscentern.
    »Ein klarer Fall, aber trotzdem ein gutes Plädoyer«, sagte Halbech und reichte ihm die Hand. Jon schlug ein. Halbech beugte sich vor, ohne Jons Hand loszulassen. »Steiner hatte keine Chance«, flüsterte er und nickte in Richtung Staatsanwalt.
    Jon nickte.
    »Der Fall hätte nie vor Gericht kommen dürfen«, flüsterte er zurück.
    Halbech richtete sich auf, ließ Jons Hand los und trat einen Schritt zurück. Seine graublauen Augen musterten ihn, während sich ein feines Lächeln auf seinen Lippen abzeichnete.
    »Was halten Sie von ein bisschen Veränderung, Campelli? Ein Fall, der Ihnen wirklich gerecht wird?«
    »Gerne«, antwortete Jon, ohne zu zögern.
    Halbech nickte zufrieden.
    »Das dachte ich mir schon. Sie scheinen mir ein Mann zu sein, der Herausforderungen liebt und wirklich Gas gibt, wenn es darauf ankommt.« Er deutete auf Jon und formte mit den Fingern eine Pistole. »Remer. Der Fall gehört Ihnen.« Er grinste breit. »Kommen Sie morgen zu mir ins Büro, dann reden wir darüber.«
    Noch ehe Jon reagieren konnte, hatte Halbech sich umgedreht und marschierte entschlossen auf den Ausgang zu. Jon sah ihm verblüfft nach, doch dann trat ein kleiner, kräftiger Mann in einem hellgrauen Anzug vor ihn und versperrte ihm die Sicht.
    »Wow, war das nicht Halbech?«, fragte der Mann und sah abwechselnd von Jon zum hinauseilenden Halbech. Der kleine Mann war Jons Kollege, Anders Hellstrøm, dessen Spezialgebiete Verkehrsrecht, irische Pubs und Guinness waren.
    »In persona«, antwortete Jon abwesend.
    »Unglaublich. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann
ich den zuletzt in einem Gerichtssaal gesehen habe.« Hellstrøm war beeindruckt. »Was zum Teufel wollte er?«
    »Da bin ich mir nicht ganz sicher«, erwiderte Jon nachdenklich. »Aber ich habe den Remer-Fall bekommen.«
    Hellstrøm starrte ihn ungläubig an.
    »Remer?« Er pfiff leise durch die Zähne und sah Jon mitleidig an. »Entweder will er dich vergolden oder endgültig fertigmachen.«
    »Danke für die Anteilnahme«, sagte Jon trocken und verzog den Mund zu einem Grinsen.
    »Warte, bis die anderen das hören.« Hellstrøm rieb sich die Hände und sah sich um. »Aber das Plädoyer war wirklich verdammt gut, Jon«, fügte er hinzu, als er sich umdrehte und auf das hintere Ende des Saals zusteuerte, wo einige ihrer Kollegen versammelt waren.
    Jon brauchte frische Luft. Er hatte das Gefühl, von allen angestarrt zu werden, obgleich der Fall abgeschlossen war, und bahnte sich einen Weg nach draußen, wobei ihm von allen Seiten gratuliert und auf die Schulter geklopft wurde. Einen Augenblick später stand er auf der Treppe des Gerichtsgebäudes. Es hatte aufgehört zu regnen, und in der hellgrauen Wolkenschicht waren erste blaue Löcher zu erkennen. Er steckte die Hände in die Taschen und atmete tief durch.
    Remer - das war ein Fall von Wirtschaftskriminalität der Extraklasse. Dem Hauptangeklagten Otto Remer wurde vorgeworfen, über Jahre hinweg nicht weniger als 150 Gesellschaften finanziell ausgesaugt und in den Ruin getrieben zu haben. Sein Vorgehen war zweifellos moralisch bedenklich, ob seine Aktivitäten aber wirklich ungesetzlich waren, stand auf einem ganz anderen Blatt. Der Fall wurde bereits seit drei Jahren verhandelt, und allen war klar, dass die Menge und Komplexität der ermittelten Fakten die kritische Größe erreicht hatte, bei der ein Fall ein Eigenleben, ja fast eine Art Selbstbewusstsein bekam.

    Die Bearbeiter dieses Falls hatten ein eigenes
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