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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
Autoren: Veronica Roth
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Augen wieder aufschlage, ist nur ein Moment vergangen, aber ich bin an einem anderen Ort. Ich stehe wieder in der Schulcafeteria. Ich bin allein, die vielen langen Tische sind leer. Durch die Glaswände sehe ich, dass es schneit. Vor mir auf dem Tisch stehen zwei Körbe. In dem einen liegt ein Stück Käse, in dem anderen ein Messer, so lang wie mein Unterarm.
    Eine Frauenstimme hinter mir fordert mich auf: » Wähle.«
    » Warum?«, frage ich.
    » Wähle«, wiederholt sie.
    Ich blicke über meine Schulter, aber da ist niemand. Ich drehe mich wieder um. » Wozu ist das gut?«
    » Wähle!«, schreit sie.
    Als sie mich anbrüllt, verschwindet schlagartig die Angst, stattdessen gewinnt meine Sturheit die Oberhand. Störrisch verschränke ich die Arme vor der Brust.
    » Wie du willst«, sagt die Stimme.
    Plötzlich sind die Körbe verschwunden. Ich höre eine Tür in den Angeln quietschen und drehe mich zur Seite, um zu sehen, wer gekommen ist. Es ist kein Wer, sondern ein Was. Ein paar Schritte von mir entfernt steht ein Hund mit einer spitzen Schnauze. Geduckt kommt er auf mich zu und fletscht die weißen Zähne. Er stößt ein tiefes, bedrohliches Knurren aus, und da wird mir klar, wozu der Käse gut gewesen wäre. Oder das Messer. Aber jetzt ist es zu spät.
    Ich überlege, ob ich weglaufen soll. Zwecklos, der Hund ist garantiert schneller als ich. Das Tier niederzuringen, brauche ich erst gar nicht zu versuchen. Mein Kopf dröhnt. Ich muss eine Entscheidung treffen. Wenn ich über einen Tisch springe und ihn dann wie einen Schild vor mich halte… Nein, ich bin zu klein, um über die Tische zu springen, und ich bin auch nicht stark genug, um einen davon umzuwerfen.
    Der Hund knurrt, und ich spüre, wie mein Kopf davon vibriert.
    In meinem Biologiebuch steht, dass Hunde Angst riechen können, weil die menschlichen Drüsen unter Stress den gleichen Stoff absondern wie Beutetiere. Und wenn Hunde Angst riechen, greifen sie an.
    Der Hund kommt langsam näher, seine Krallen scharren auf dem Fußboden.
    Ich kann weder weglaufen noch kämpfen. Ich rieche den stinkenden Atem des Hundes und versuche, nicht daran zu denken, was er wohl gerade gefressen haben mag. In seinen Augen ist nichts Weißes, nur ein schwarzes Funkeln.
    Was weiß ich sonst noch über Hunde? Man sollte ihnen nicht in die Augen schauen, das verstehen sie als Akt der Feindseligkeit. Als Kind habe ich meinen Vater angebettelt, mir einen Hund zu schenken, aber jetzt, wo ich auf die Pfoten starre, weiß ich nicht mehr, warum. Der Hund kommt knurrend näher. Wenn es ein feindseliges Verhalten ist, ihm in die Augen zu schauen, was ist dann ein Zeichen der Unterwerfung?
    Mein Atem geht keuchend, aber gleichmäßig. Es graut mir davor, mich vor dem Hund auf den Boden zu legen– dann ist mein Gesicht auf gleicher Höhe mit seinen fletschenden Zähnen–, aber es ist das einzig Vernünftige. Also strecke ich mich lang aus und stütze mich auf die Ellenbogen. Der Hund kommt näher, ich spüre seinen warmen Atem in meinem Gesicht. Meine Arme fangen an zu zittern.
    Er bellt in mein Ohr, und ich beiße die Zähne zusammen, damit ich nicht losschreie.
    Etwas Raues, Nasses berührt meine Wange. Der Hund hat zu knurren aufgehört, und als ich den Kopf hebe und ihn anblicke, hechelt er. Er hat mir übers Gesicht geleckt! Verblüfft richte ich mich auf und kauere mich auf die Fersen. Der Hund stellt seine Vorderpfoten auf meine Knie und schlabbert an meinem Kinn. Zuerst zucke ich zurück, doch dann wische ich die Spucke ab und lache. » So eine gefährliche Bestie bist du ja gar nicht, was?«
    Langsam stehe ich wieder auf, um den Hund nicht zu erschrecken, aber das Tier scheint wie verwandelt. Ich strecke die Hand nach ihm aus, vorsichtig, damit ich sie notfalls schnell wieder zurückziehen kann. Der Hund stupst sie mit der Schnauze an. Ich bin froh, dass ich das Messer nicht genommen habe.
    Ich muss blinzeln, und als ich die Augen wieder öffne, steht ein weiß gekleidetes kleines Mädchen vor mir. Es breitet die Arme aus und ruft: » Hündchen!«
    Das Kind läuft auf den Hund zu. Ich will die Kleine warnen, aber es ist schon zu spät. Der Hund macht einen Satz und dreht sich um. Er knurrt nicht mehr, sondern bellt und fletscht die Zähne und schnappt. Seine Muskeln sind bis zum Äußersten gespannt, gleich wird er losspringen. Ohne lange nachzudenken, werfe ich mich auf den Hund und klammere mich an seinen Hals…
    Ich schlage mit dem Kopf auf dem Boden auf. Der Hund ist
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