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Die Besteigung Des Rum Doodle

Die Besteigung Des Rum Doodle

Titel: Die Besteigung Des Rum Doodle
Autoren: W. E. Bowman
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Zustand seines Freundes halb zu Tode gesorgt. Constant war auch wegen des Verlusts seiner Träger ziemlich deprimiert. Um ihn zu trösten, marschierte Prone mit dem Arm um Constants Schulter. Unglücklicherweise fielen beide in eine Gletscherspalte, wurden aber von dem Träger gerettet.
    Ich ging am Schluss. Es stimmte mich traurig, der majestätischen Bühne, auf der wir unser Drama des Leidens und des Triumphs gespielt hatten, den Rücken kehren zu müssen. Als meine Gefährten das Lied von Binders süßen Bohnen anstimmten, hätte ich beinahe geschluchzt. Ich tröstete mich jedoch mit dem Gedanken, dass unsere Leiden noch nicht zu Ende waren. Während ich der glücklichen und vereinten Mannschaft folgte, stimmte der Gedanke, dass unsere Freundschaft in den Gefahren, die wir gemeinsam durchgestanden hatten, zu einem stählernen Band gehärtet worden war, mich fröhlich. Ich kostete die süßesten Früchte der Führerschaft.
    *
    Drei Tage später standen wir auf dem Gipfel des Rankling La und schauten zum letzten Mal auf das Rum-Doodle-Massiv. Die Abendsonne war hinter uns am Horizont versunken. Die Wildnis der Berge ringsum war eine Sinfonie abgestufter Schattierungen. Uns zu Füßen lag das tiefe Schwarz der Flussschluchten. Nur der Rum Doodle stand noch im Sonnenlicht da, seine riesige Pyramide zeichnete sich gegen den türkisfarbenen Himmel ab. Die gewaltigen Eishänge undSchneefelder glitzerten in den wechselnden Farben des Sonnenuntergangs.
    Es war ein passender Abschied von einem majestätischen Berg. Burley legte seine Hand auf meine Schulter, und gemeinsam bahnten wir uns unseren Weg durch die einbrechende Dunkelheit zu unserem Rastplatz im Tal.

    *hosted by boox.to*

Nachwort von Andreas Lesti
    Der höchste Berg
    Um es gleich zu sagen und damit mit einem weit verbreiteten Missverständnis aufzuräumen: Der höchste Berg dieser Erde heißt Rum Doodle, er befindet sich im Himalaja und ist 12 192 Meter hoch. Dass dies in Vergessenheit geraten ist und sich eine Erhebung namens Mount Everest, die im Vergleich zum sagenhaften Rum Doodle gerade mal als Hügel zu bezeichnen ist, ins kulturelle Gedächtnis geschlichen hat, ist nichts anderes als – nennen wir die Dinge beim Namen – ein Skandal.
    Aber die Geschichte des höchsten Berges der Welt beginnt viel früher und viel tiefer als die des Rum Doodle oder des Everest. Denn der höchste Berg ist ja immer auch eine Frage der Erkundung und Vermessung. Und da die hohen Berge Asiens erst Mitte des 19. Jahrhunderts in die Wahrnehmung des Menschen gerieten und man auch von den Anden in Südamerika lange nicht wusste, wie hoch sie sind, hat einstmals alles in den Alpen begonnen. Man muss also ein wenig ausholen, in der Geschichte 250 Jahre zurückgehen, um sich dann Jahr für Jahr, Schritt für Schritt, Höhenmeter für Höhenmeter, über nicht weniger als zehn Gipfel der Welt auf 8848 Meter, nein, natürlich auf 12 192 Meter zu steigern.
    Also: Der Wettstreit um den höchsten Berg beginnt inder Mitte des 17. Jahrhunderts. Es kursierten Erzählungen von Missionaren und Seefahrern, die riesige Berge gesehen hatten – aber wie hoch diese seien, vermochte niemand zu sagen. Ein norddeutscher Gelehrter mit dem Namen Bernhard Varenius, nicht unbedingt das, was man sich heute unter einem Bergsteiger vorstellt, trug in der
Geographia Generalis
1664 die vermeintlich höchsten Punkte der Welt zusammen: Platz eins nahm der Pico del Teide auf Teneriffa ein (3720 Meter), auf Platz zwei folgte der »Gipfel der Azoren« (also der 2351 Meter hohe Pico), auf Platz drei die »Anden« ohne genauere Angaben, auf vier der Ätna, auf fünf Hekla auf Island und an sechster Stelle der bei Marco Polo erwähnte Adamsberg auf Ceylon.
    Aber es gab keine zuverlässigen Instrumente, um diese Angaben zu überprüfen. Der Barometer war zwar bereits erfunden worden, aber er war noch nicht weit genug entwickelt, um exakte Messungen auf dem Gipfel eines Berges vorzunehmen – zumal das ja auch hieß, den jeweiligen Berg besteigen zu müssen. Und trigonometrische Messungen, mit deren Hilfe man einen Berg vom Tal aus vermessen kann, wurden erst im 19. Jahrhundert perfektioniert. Im Gegensatz zur Weite hatte die Höhe als Kategorie im 17. Jahrhundert noch keine große Bedeutung.
    Auch im 18. Jahrhundert, mitten in der Aufklärung, war man offenbar noch nicht viel schlauer. Der deutsche Philosoph Christian Cay Lorenz Hirschfeld schrieb 1769 mit bestechender Logik: »Wie die Schweiz das höchste Land
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