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Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte
Autoren: Kristin Cashore
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werden konnte. Diesmal war es zu vermeiden.
    Am anderen Ende des Obstgartens traf sie auf einen Wachmann, der alt war, vielleicht so alt wie der Lienid. Er stand in einem Gehölz einjähriger Bäume und stützte sich auf sein Schwert, sein Rücken war rund und gebeugt. Sie schlich hinter ihn und blieb stehen. Ein Zittern schüttelte seine Hände auf dem Schwertgriff.
    Katsa hielt nicht viel von einem König, der seine Wachleute nicht fürsorglich in den Ruhestand schickte, bevor sie zu alt waren, um ruhig ein Schwert zu führen.
    Doch wenn sie diesen Alten unversehrt ließ, würde er die anderen finden, die sie niedergestreckt hatte, und Alarm schlagen. Sie traf ihn einmal kräftig am Hinterkopf und er sank stöhnend zusammen. Katsa fing ihn auf und ließ ihn so behutsam wie möglich auf den Boden gleiten, dann legte sie ihm die Pille in den Mund. Sie nahm sich noch die Zeit, mit den Fingern über die wachsende Beule auf seinem Kopf zu streichen. Hoffentlich hatte er einen harten Schädel.
    Einmal hatte sie unabsichtlich getötet, eine Erinnerung, die sie sich immer wieder bewusstmachte. Damals, vor zehn Jahren, hatte sich angekündigt, worin ihre Gabe bestand. Sie war noch ein Kind gewesen, gerade acht Jahre alt. Ein Mann, ein entfernter Cousin, hatte den Hof besucht. Sie hatte ihn nicht gemocht, sein schweres Parfum, die Art, wie er lüstern die Mädchen betrachtete, die ihn bedienten, wie sein anzüglicher Blick ihnen durch den Raum folgte, wie er sie anfasste, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Als er anfing, Katsa eine gewisse Aufmerksamkeit zu schenken, war sie misstrauisch geworden. »So eine hübsche Kleine«, sagte er. »Die Augen der Beschenkten können so hässlich sein. Aber du, glückliches Mädchen, siehst damit noch besser aus. Was ist deine Gabe, meine Süße? Geschichtenerzählen? Gedankenlesen? Ich weiß es: Du bist eine Tänzerin.«
    Katsa wusste damals nicht, was ihre Gabe war. Manche Gaben brauchten länger als andere, bis sie zum Vorschein kamen. Doch selbst wenn sie es gewusst hätte, wäre sie nicht bereit gewesen, es diesem Cousin zu verraten. Sie schaute ihnböse an und wandte sich ab, da streckte er die Hand nach ihrem Bein aus und ihre Hand flog hoch und schlug ihm ins Gesicht. So schnell und so kräftig, dass sie ihm die Nasenknochen ins Gehirn stieß.
    Damen am Hof hatten geschrien, eine fiel in Ohnmacht. Als sie den Cousin aus der Blutlache am Boden hoben und feststellten, dass er tot war, wurde es still und alle wichen zurück. Ängstliche Augen waren auf sie gerichtet, jetzt nicht nur die der Damen, auch die der Soldaten, der Schwertträger unter den Höflingen. Es war gut, die Mahlzeiten vom beschenkten Koch des Königs zu essen oder Pferde zum beschenkten Pferdearzt des Königs zu schicken. Aber ein Mädchen mit der Gabe des Tötens? Das war mit Vorsicht zu behandeln.
    Ein anderer König hätte sie verbannt oder getötet, auch wenn sie das Kind seiner Schwester war. Doch Randa war klug. Er sah, dass seine Nichte irgendwann einen praktischen Zweck erfüllen könnte, also schickte er sie in ihre Gemächer und bestrafte sie mit wochenlangem Hausarrest, aber das war alles. Als sie wieder herauskam, rannten ihr alle aus dem Weg. Sie hatten sie auch zuvor nicht gemocht, niemand mochte die Beschenkten, doch sie hatten ihre Anwesenheit toleriert. Jetzt gab es keine vorgetäuschte Freundlichkeit mehr. »Hütet euch vor der mit dem grünen und dem blauen Auge«, flüsterten sie Gästen zu. »Sie hat ihren Cousin getötet, mit einem Schlag. Weil er ihr ein Kompliment über ihre Augen gemacht hat.« Selbst Randa ging ihr aus dem Weg. Ein mörderischer Hund mochte für einen König nützlich sein, doch er wollte nicht, dass er zu seinen Füßen schlief.
    Prinz Raffin war der Einzige, der Katsas Gesellschaftsuchte. »Du machst es nicht wieder, oder? Ich glaube nicht, dass mein Vater dich jeden, der dir nicht gefällt, töten lässt.«
    »Ich hatte nie vor, ihn zu töten«, sagte sie.
    »Was ist geschehen?«
    Katsa dachte an den Vorfall zurück. »Ich habe gespürt, dass ich in Gefahr war. Deshalb habe ich ihn geschlagen.«
    Prinz Raffin schüttelte den Kopf. »Man muss seine Gabe beherrschen«, sagte er. »Besonders die Gabe zu töten. Du musst, sonst wird mein Vater nicht mehr zulassen, dass wir einander sehen.«
    Das war eine beängstigende Vorstellung. »Ich weiß nicht, wie ich sie beherrschen soll.«
    Raffin überlegte. »Du könntest Oll fragen. Die Spione des Königs wissen, wie man
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