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Die beiden Seiten der Münze (German Edition)

Die beiden Seiten der Münze (German Edition)

Titel: Die beiden Seiten der Münze (German Edition)
Autoren: Christine Ladan
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die  Spaghettiträgertops und Miniröcke trugen, ausgesetzt.
     
    Lynn kramte in ihrer Handtasche und förderte einen Haargummi zutage. Sie band sich die langen braunen Haare zusammen, nicht ohne sich wie so oft zu ärgern, dass ihr dabei fast eine Handvoll Haare ausging. Ihr Arzt hatte gesagt, physisch fehle ihr nichts, das läge an ihren Nerven und am Alter– doch was um Himmels Willen sollte sie dagegen tun? Dreißig Jahre waren ja nicht unbedingt steinalt und um den Erhalt ihres Nervenkostüms würde sie sich kümmern, wenn der schon lange andauernde Rechtsstreit mit ihrem Exmann vorbei wäre.
     
    Keine dummen Gedanken – nicht schon wieder – heute war ihr Tag, ihr dreißigster Geburtstag und den wollte sie genießen. Lynn schlenderte die Alserstraße Richtung Innenstadt langsam entlang, sie hatte noch massenhaft Zeit, bevor Therese mit ihrer Arbeit fertig wäre. Sie blieb vor einigen Geschäften stehen, in der Hoffnung, etwas Schönes zu finden, da war aber nur Kleidung, die sicherlich in Größe 36 phantastisch aussah, die sie aber nie würde tragen können. Für wen waren denn diese Sachen alle gemacht worden, nicht jeder konnte aussehen wie ein Model.
     
    Zum Trost gönnte sich Lynn ein Eis – Schokolade, Erdbeere und Walnuss mit einem großen Klecks Schlagobers obendrauf - und setzte sich unter einen Baum in den Schatten. Eigentlich aß sie in der Öffentlichkeit gar nicht gerne, sie fühlte sich beobachtet, als ob sich die Leute um sie herum fragen würden, warum jemand mit Übergewicht ausgerechnet ein Eis mit Schlagobers essen musste. Natürlich war ihr eigentlich klar, dass die anderen Menschen sie kaum beachteten, aber das unangenehme Gefühl ließ sie trotzdem nicht los. In einem kurzen Anfall von schlechtem Gewissen warf sie das langsam schmelzende Eis in den daneben stehenden Mistkübel, nicht ohne noch einen bedauernden Blick hinterher zu werfen.
     
    Ein weiterer Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie sich langsam auf den Weg machen sollte, um Therese rechtzeitig beim Schottentor treffen zu können.
     
    Wie immer war Therese pünktlich, man konnte fast die Uhr nach ihr stellen. Lynn kannte sie bereits seit der Volksschule, Therese war wie eine Schwester, stand ihr näher als die meisten Menschen und war die einzige Person, in deren Gegenwart sie sich immer wohlfühlte.
     
    Als sich die beiden Mädchen vor vielen Jahren in der ersten Klasse Volksschule kennengelernt hatten, fühlte sie Lynn gleich zu dem blondgelockten elfengleichen Wesen hingezogen. Therese war beliebt, ein Hauch von Eleganz umwehte sie schon als Kind. Sie hatte ebenso wie Lynn ihre Schwierigkeiten in der Familie. Die Atmosphäre in Therese’s Familie war von einer eigenartigen Kälte geprägt. Jeder lebte für sich und Kommunikation untereinander fand so gut wie nicht statt. Vielleicht war das einer der Gründe warum Therese sehr früh selbständig geworden war und gelernt hatte, im Leben mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben und sich durchzuboxen. Das hatte sie auch geschafft, als der Vater ihres dreijährigen Sohnes Lukas sie verlassen hatte. Sie war ein unabhängiger und auch ein wenig unruhiger, unsteter Geist. Therese sah fast noch immer genauso aus wie in ihrer Jugend. Blonde Locken, helle Haut und dunkelbraune große Rehaugen. Ihre unschuldige Optik täuschte oft darüber hinweg, wie hart sie mit sich selbst und anderen sein konnte.
     
    Lynn wusste, dass sie sich immer auf Therese verlassen konnte, komme was da wolle. Falls sie einmal mitten in der Nacht ihre Hilfe brauchen würde, wäre Therese innerhalb von Minuten bei ihr, notfalls mit dem auf den Rücken geschnallten Sohn im Schlepptau.
     
    Therese ging lächelnd auf sie zu, Lynn umarmte sie liebevoll und fragte: „Geht alles mit der Führung klar?“ In ihrer Freude hatte Lynn ganz vergessen, Therese zu begrüßen. „Oh, hallo übrigens...!“ „Sicher geht das klar“ grinste ihre Freundin, „ich war auch noch nie da unten, bin schon gespannt wie es da so ist.“
     
    Gemeinsam durchquerten sie die Wiener Innenstadt von der Herrengasse über die Freyung durch die Naglergasse bis zum Graben. „Möchtest du vorher noch etwas essen?“ wollte Therese wissen. Eigentlich hatte Lynn wieder Hunger, als ihr jedoch das Eis von vorhin einfiel, verneinte sie lieber. Ihr Blick blieb neidisch an Therese's makelloser Figur hängen, sie hatte sie seit ihrem sechzehnten Lebensjahr durch Disziplin und Bewegung erhalten, was Lynn leider nicht gelungen war.
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