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Die Barbaren von Ragnarok

Die Barbaren von Ragnarok

Titel: Die Barbaren von Ragnarok
Autoren: Tom Godwin
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verschlossenen Türen, wie sie von den politischen und militärischen Führern der Erde seit jeher gepflogen wurden und bei denen die Betroffenen weder Stimme noch Recht auf Information hatten, waren den Ragnarokern immer verdächtig gewesen.
    Er verließ das Schiff und sah, daß die Scheinwerfer und Flutlichtlampen der ›Ragnarok‹ eingeschaltet waren und die Stadt in helles Licht tauchten. Er hörte das weiche Gebimmel von Keramikglocken und sah einen Trupp von Kindern und Waldschliefern eine Herde domestizierter Ziegen zum Schiff treiben. Diese Tiere waren für die Ragnaroker so wichtig, daß ein Schlachtverbot bestand; sie lieferten Milch und Käse und die warme, kräftige Wolle, aus der alle Kleidung gemacht wurde und die jeder synthetischen Faser von Erde und Athena überlegen schien. Ein heiserer Schrei kam von links, und er sah ein Paar Einhörner kommen, an Stricken vorwärts gezerrt und geleitet von zwei Männern mit Speeren und vier Waldschliefern. Die Einhörner schwangen ihre mächtigen, eberartigen Köpfe und entblößten ihre gefährlichen Hauer unter den langen, nadelspitzen Stirnhörnern. Es war noch nicht gelungen, diese reizbaren Kolosse zu zähmen, die eine Schulterhöhe von zweieinhalb Metern erreichten, aber sie waren die Hauptlieferanten von Fleisch und zähem Leder.
    Er ging die Straße hinunter. In der Stadt herrschte hektische Aktivität. Die Leute rannten in ihre Häuser und wieder heraus, beladen mit ihren Habseligkeiten. Die Stapel, die sich im Schnee vor den Türen bildeten, waren alle klein, denn ein Ragnaroker besaß selten mehr als die notwendigsten Dinge, und auch diese nur in geringer Zahl. Armbrüste, Kleider, ein paar Lebensmittel, Kochutensilien, Messer – aus Stahl, jetzt, während des Krieges von Athena importiert, um die Feuersteinklingen zu ersetzen, die sie bis dahin verwendet hatten …
    Und natürlich die Manuskripte der Alten, mit Lanzenbaumtinte auf Pergament geschrieben und nicht länger von praktischem Nutzen, aber von großem Wert als Erinnerungsstücke und geschichtliche Dokumente aus einer harten Vergangenheit. Sie enthielten nicht nur die Geschichte von Ragnarok in Augenzeugenberichten; zweihundert Jahre lang waren sie auch die Quelle allen Wissens gewesen.
    Er kam zu dem Haus, wo Norman, Lora und Barbara mit ihrer Mutter gelebt hatten, und er sah, daß Barbara einen größeren Haufen zusammengetragen hatte, als ihr eigenes Zeug ausmachen konnte.
    »Loras Kleider«, sagte sie, als sie seinen Blick bemerkte. »Sie wird sie brauchen, wenn wir sie nach Athena zurückbringen.«
    Er entnahm daraus, daß Barbara mit der ›Ragnarok‹ auf Feindfahrt gehen wollte, und er kannte sie gut genug, um zu wissen, daß sie nur durch unmittelbaren Zwang daran gehindert werden konnte. So beschränkte er sich auf ein vages Achselzucken und ging weiter.
    Er sah Anne Tyson in ihr Haus eilen, um einen neuen Armvoll Kleider herauszuholen. Neben den Besitztümern, die bereits auf der Straße lagen, stand die neunjährige Eleanor und wartete, und der kalte Wind ließ ihre blonden Locken flattern. Als sie seine Schritte hörte, blickte sie auf, ein außergewöhnlich hübsches Kind mit großen blauen Augen, in denen nun der fragende Ausdruck war, den er in diesen zwei Tagen so oft gesehen hatte. Eleanor war blind.
    »Papa?« fragte sie unsicher.
    »Nein, Johnny«, sagte er. »Ist dein Vater auch blind?«
    »Ich glaube nicht«, antwortete sie. »Papa und Ed Barber helfen Sachen aus Häusern tragen, wo alle blind sind. Ich wollte Mama mit unserem Zeug helfen, und dann konnte ich auf einmal nichts mehr sehen. Ich mag nicht hier draußen in Kälte und Dunkelheit herumstehen, ohne daß ich Mama helfen kann. Mama sagt, daß ich bald wieder sehen werde, aber ich weiß nicht … Ist es wahr?«
    »Natürlich«, sagte er so überzeugend er konnte. »Alle, die jetzt blind sind, werden wieder sehen – nicht lange, nachdem wir von hier starten.«
    Er setzte seinen Rundgang fort, und bald traf er Jim Tyson und Ed Barber, wie sie mit vollen Armen aus Dan Destrys Haus kamen. Destry selber war an Bord der ›Ragnarok‹, wo er trotz seiner Blindheit bei der Unterbringung zu helfen versuchte.
    »Nicht mehr viel zu tun«, sagte Barber. »Ein Vorteil, Ragnaroker zu sein, ist, daß du den Familienbesitz von zweihundert Jahren auf dem Rücken wegtragen kannst.«
    Sie lachten ein bißchen zusammen, und dann setzte er seinen Rundgang fort und griff hier und dort zu, wenn Not am Mann war. Er redete mit den
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