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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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mütterlicherseits, die eine leidenschaftliche Friedhofsgängerin und vor allem Leichenhallen- und Aufbahrungsbesucherin gewesen war und mich sehr oft schon als kleines Kind auf die Friedhöfe mitgenommen hatte, um mir die Toten zu zeigen, ganz gleich welche, mit ihr gar nicht verwandte, aber doch immer auf den Friedhöfen aufgebahrte Tote, sie war von den Toten, von den aufgebahrten Toten immer fasziniert gewesen und hatte immer versucht, diese ihre
Faszination als Leidenschaft
auf mich zu übertragen, sie hatte mich aber doch immer nur mit ihrem Hochheben meiner Person zu den aufgebahrten Toten hin geängstigt, ich sehe sehr oft heute noch, wie sie mich in die Leichenhallen hineinführt und mich hochhebt zu den aufgebahrten Toten und so lange hochhebt, als sie es aushalten hat können, immer wieder ihr
siehst du, siehst du, siehst du
und so lange hochgehalten hat, bis ich geweint habe, dann hat sie mich auf den Boden gestellt und selbst noch lange auf den aufgebahrten Toten geschaut, bevor wir wieder aus der Aufbahrungshalle hinausgegangen sind. Wöchentlich mehrere Male hatte mich meine Großmutter auf die Friedhöfe und in die Leichenhallen mitgenommen, regelmäßig hatte sie die Friedhöfe besucht, zuerst die Gräber der Verwandten mit mir besucht, dann lange Zeit alle anderen Gräber und Grüfte in Augenschein nehmend, wobei ihr wahrscheinlich kein einziges Grab entgangen war, sie wußte alles über alle Gräber, wie alle Gräber ausschauten, in welchem Zustand sie sich befanden, und alle auf diesen Gräbern und Grüften stehenden Namen waren ihr immer geläufig gewesen, so hatte sie einen unerschöpflichen Gesprächsstoff in jeder Gesellschaft. Und wahrscheinlich hatte ich die zugegeben immer große eigene Faszination für die Friedhöfe und auf den Friedhöfen von meiner Großmutter, die mich in nichts mehr geschult hat als in Friedhofsbesuchen und in der Betrachtung und Anschauung der Gräber und in der intensiven Betrachtung und Beobachtung der Aufgebahrten. Sie hatte sogenannte Lieblingsfriedhöfe und alle Friedhöfe, die sie in ihrem Leben kennengelernt und immer und immer wieder aufgesucht hat, solche ihre Lebensstationen markierende Friedhöfe in Meran und in München, in Basel und in Ilmenau in Thüringen, in Speyer und in Wien und in ihrer Heimatstadt Salzburg, wo ihr Lieblingsfriedhof nicht der von Sankt Peter, der oft als der schönste Friedhof der Welt bezeichnet wird, war, sondern der Kommunalfriedhof, auf welchem die meisten meiner Verwandten und schon verstorbenen Weggefährten begraben sind. Mir selber aber ist immer der Sebastiansfriedhof der unheimlichste und dadurch faszinierendste gewesen, und ich bin sehr oft stundenlang auf dem Sebastiansfriedhof gewesen, allein und in todessüchtiger Meditation. Während des Geigenunterrichts, auf den Sebastiansfriedhof hinunterschauend, dachte ich immer, wenn ich nur von dem Steiner in Ruhe gelassen da unten für mich selbst sein könnte, von Grab zu Grab gehend, wie ich das von meiner Großmutter gelernt habe, in Gedanken an die Toten und an den Tod und die Natur zwischen und auf den Gräbern beobachtend, wie sie hier in völliger Abgeschiedenheit die Jahreszeiten ankündigte und wechselte, dieser Friedhof war aufgelassen, und die ehemaligen Besitzer der Grabstätten kümmerten sich nicht mehr um ihren Besitz; oft setzte ich mich auf einen umgefallenen Grabstein, um mich, für ein, zwei Stunden dem Internat entkommen, zu beruhigen. Der Steiner hatte mich zuerst auf der Dreiviertelgeige unterrichtet, dann auf der sogenannten Ganzen, während seines theoretischen und praktischen Unterrichts, jede einzelne Passage aus dem zum Grundstudium herangezogenen Ševčik hatte er mir vorgespielt, worauf ich ihm nachzuspielen hatte, immer wieder aus dem Ševčik, aber doch nach und nach schon klassische Sonaten und andere Stücke, und er klopfte mir in ganz bestimmten, aber immer unvorhergesehenen Augenblicken züchtigend mit seinem Geigenbogen auf die Finger, in zu ihm, zu seinem von und mit der Zeit vollkommen rhythmisierten Wesen passenden Zeitabständen, denn er war beinahe immer wütend über meine Zerstreutheit gewesen, über meinen Widerstand und schon krankhaften Widerwillen gegen das Geigen
lernen
, denn hatte ich einerseits die größte Lust, Geige zu spielen, die größte, Musik zu machen, weil mir Musik das Schönste überhaupt auf der Welt gewesen war, so haßte ich jede Art von Theorie und Lernprozeß und also, durch fortwährendes aufmerksamstes
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