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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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urplötzlich umgebracht haben, oder ich wäre langsam und elendig in ihren Mauern und in ihrer das Ersticken und nichts als das Ersticken betreibenden unmenschlichen Luft zugrunde gegangen, wie viele in ihr langsam und elendig zugrunde gegangen sind. Ich habe sehr oft das besondere Wesen und die absolute Eigenart dieser meiner Mutter- und Vaterlandschaft aus (berühmter) Natur und (berühmter) Architektur erkennen und lieben dürfen, aber die in dieser Landschaft und Natur und Architektur existierenden und sich von Jahr zu Jahr kopflos multiplizierenden schwachsinnigen Bewohner und ihre gemeinen Gesetze und noch gemeineren Auslegungen dieser ihrer Gesetze haben das Erkennen und die Liebe für diese Natur (als Landschaft), die ein Wunder, und für diese Architektur, die ein Kunstwerk ist, immer gleich abgetötet, immer schon gleich in den ersten Ansätzen abgetötet, meine auf mich selber angewiesenen Existenzmittel waren immer gleich wehrlos gewesen gegen die in dieser Stadt wie in keiner zweiten herrschende Kleinbürgerlogik. Alles in dieser Stadt ist gegen das Schöpferische, und wird auch das Gegenteil immer mehr und mit immer größerer Vehemenz behauptet, die Heuchelei ist ihr Fundament, und ihre größte Leidenschaft ist die Geistlosigkeit, und wo sich in ihr Phantasie auch nur zeigt, wird sie ausgerottet. Salzburg ist eine perfide Fassade, auf welche die Welt ununterbrochen ihre Verlogenheit malt und hinter der das (oder der) Schöpferische verkümmern und verkommen und absterben muß. Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit, in welche ihre Bewohner hineingeboren und hineingezogen werden, und gehen sie nicht in dem entscheidenden Zeitpunkt weg, machen sie direkt oder indirekt früher oder später unter allen diesen entsetzlichen Umständen entweder urplötzlich Selbstmord oder gehen direkt oder indirekt langsam und elendig auf diesem im Grunde durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden zugrunde. Die Stadt ist für den, der sie und ihre Bewohner kennt, ein auf der Oberfläche schöner, aber unter dieser Oberfläche tatsächlich fürchterlicher Friedhof der Phantasien und Wünsche. Dem Lernenden und Studierenden, der sich in dieser überall nur im Rufe der Schönheit und der Erbauung und zu den sogenannten Festspielen alljährlich auch noch in dem Rufe der sogenannten Hohen Kunst stehenden Stadt zurecht und Recht zu finden versucht, ist sie bald nurmehr noch ein kaltes und allen Krankheiten und Niedrigkeiten offenes Todesmuseum, in welchem ihm alle nur denkbaren und undenkbaren, seine Energien und Geistesgaben und-anlagen rücksichtslos zersetzenden und zutiefst verletzenden Hindernisse erwachsen, die Stadt ist ihm bald nicht mehr eine schöne Natur und eine exemplarische Architektur, sondern nichts anderes als ein undurchdringbares Menschengestrüpp aus Gemeinheit und Niedertracht, und er geht nicht mehr durch Musik, wenn er durch ihre Gassen geht, sondern nurmehr noch abgestoßen durch den moralischen Morast ihrer Bewohner. Die Stadt ist dem in ihr aufeinmal um alles Betrogenen, seinem Alter entsprechend, in diesem Zustand nicht Ernüchterung, sondern Entsetzen, und sie hat für alles, auch für Erschütterung, ihre tödlichen Argumente. Der Dreizehnjährige ist plötzlich, wie ich damals
empfunden (gefühlt)
habe und wie ich heute
denke
, mit der ganzen Strenge einer solchen Erfahrung, mit vierunddreißig Gleichaltrigen in einem schmutzigen und stinkenden, nach alten und feuchten Mauern und nach altem und schäbigem Bettzeug und nach jungen, ungewaschenen Zöglingen stinkenden Schlafsaal im Internat in der Schrannengasse zusammen und kann wochenlang nicht einschlafen, weil sein Verstand nicht versteht, warum er plötzlich in diesem schmutzigen und stinkenden Schlafsaal zu sein hat, weil er als Verrat empfinden muß, was ihm als Bildungsnotwendigkeit nicht erklärt wird. Die Nächte sind ihm eine Beobachtungsschule der Verwahrlosung der Schlafsäle in den öffentlichen Erziehungsanstalten und in der Folge überhaupt der Erziehungsanstalten und immer wieder der in diesen Erziehungsanstalten Untergebrachten, Kinder aus den Landgemeinden, die von ihren Eltern, wie er selbst, aus dem Kopf und aus der Hand in die staatliche Züchtigung gegeben sind und die, wie ihm während seiner nächtlichen Beobachtungszwänge scheint, ihre Erschöpfungszustände ohne weiteres zu einem tiefen Schlaf machen können, während er
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