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Die Auswahl. Cassia und Ky

Titel: Die Auswahl. Cassia und Ky
Autoren: Ally Condie
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nimmt ihr die Entscheidung ab. »Bis heute Abend!«, sagt er und schlüpft zur Tür hinaus.
    »Das schafft er nie.« Meine Mutter schaut aus dem Fenster hinüber zur Zughaltestelle, wo die Gleise bereits aufleuchten, um die Ankunft des Zuges anzukündigen.
    »Doch, vielleicht schon«, erwidere ich und beobachte, wie Bram den Kopf einzieht und die Straße hinunterrennt. Rennen in der Öffentlichkeit – schon wieder verstößt er gegen eine Regel! Fast glaube ich zu hören, wie seine Schritte auf dem Bürgersteig widerhallen.
    Als er die Haltestelle erreicht, wird er langsamer. Er streicht sich die Haare glatt und steigt lässig die Stufen hinauf zum Zug. Hoffentlich sind wir die Einzigen, die ihn haben rennen sehen. Der Airtrain fährt los. Bram hat es wieder einmal geschafft.
    »Dieser Junge raubt mir noch den letzten Nerv«, seufzt meine Mutter. »Aber ich hätte ihn früher wecken sollen. Wir haben alle verschlafen. Es war ein sehr aufregender Abend.«
    »Stimmt«, pflichte ich ihr bei.
    »Ich muss den nächsten Zug in die Stadt erwischen.« Meine Mutter hängt ihre Tasche um. »Was machst du heute in deinen Freizeitstunden?«
    »Xander und die anderen wollen bestimmt ins Spielcenter«, antworte ich. »Die Vorführungen haben wir alle schon gesehen, und die Musik …« Ich zucke mit den Achseln.
    Meine Mutter ergänzt lachend: »Ist etwas für alte Leute wie mich.«
    »In der letzten Stunde möchte ich noch gerne Großvater besuchen gehen.«
    Die Funktionäre sehen es nicht gern, wenn man von den üblichen Freistundenbeschäftigungen abweicht, aber an dem Tag, bevor jemand sein Abschiedsbankett feiert, ist ein Besuch erlaubt, ja, sogar ausdrücklich erwünscht.
    Der Blick meiner Mutter wird weich. »Er wird sich sicher sehr darüber freuen.«
    »Hat Papa Großvater von meinem Partner erzählt?«
    Meine Mutter lächelt. »Er wollte auf dem Weg zur Arbeit bei ihm vorbeischauen.«
    »Gut«, sage ich, denn ich will, dass Großvater so bald wie möglich davon erfährt. Ich weiß, dass er sich über mich und mein Bankett ebenso große Sorgen gemacht hat, wie ich mir Sorgen über ihn und sein Bankett mache.

    Nach einem hastigen Frühstück erwische ich gerade eben noch so meinen Airtrain, finde schnell einen Platz und lehne mich im Sitz zurück. Zwar habe ich letzte Nacht nicht von Xander geträumt, aber jetzt habe ich Zeit, über ihn nachzudenken. Während ich der Stadt entgegenfahre, blicke ich zum Fenster hinaus und erinnere mich daran, wie er am Abend zuvor in seinem Anzug ausgesehen hat. Während wir noch die grünen Vororte durchqueren, bemerke ich auf einmal, dass weiße Flocken durch die Luft schweben.
    Alle anderen bemerken es auch.
    »
Schnee?
Im
Juni?
«, fragt die Frau neben mir.
    »Das kann nicht sein!«, murmelt ein Mann auf der anderen Seite des Mittelgangs.
    »Aber sehen Sie doch mal!«, sagt die Frau.
    »Das kann nicht sein«, sagt der Mann wieder. Sie drehen sich um, schauen aufgeregt aus den Fenstern. Kann etwas Falsches wahr sein?
    Tatsächlich wirbeln draußen flauschige weiße Flocken zu Boden. Irgendetwas an dem Schnee ist seltsam, aber ich weiß nicht genau, was. Ich muss ein Lächeln unterdrücken, als ich all die besorgten Gesichter um mich herum sehe. Sollte ich auch besorgt sein? Vielleicht. Aber es ist so schön, so unerwartet, und, für den Moment, so unerklärbar.
    Der Airtrain hält an. Die Türen öffnen sich, und einige Flocken schneien herein. Ich fange eine mit dem Handrücken, aber sie schmilzt nicht.
    Dann sehe ich den kleinen braunen Samen in der Mitte der Flocke.
    »Das sind Pappelsamen«, erkläre ich den anderen zuversichtlich. »Das ist kein Schnee.«
    »Natürlich«, sagt der Mann und klingt so, als sei er froh über die Erklärung. Schnee im Juni wäre merkwürdig. Pappelsamen sind es nicht.
    »Aber warum sind es so viele?«, fragt eine andere Frau, immer noch besorgt.
    Kurz darauf erhalten wir die Antwort. Einer der neuzugestiegenen Fahrgäste setzt sich und wischt weiße Flocken aus seinen Haaren und von seiner Kleidung. »Wir roden das Pappelwäldchen am Fluss«, erklärt er. »Die Gesellschaft plant, dort nützlichere Bäume anzupflanzen.«
    Alle glauben ihm, denn keiner hat Ahnung von Bäumen. Ich höre die Leute flüstern; sie sind erleichtert, dass es kein Anzeichen irgendeines Klimawandels ist. Gott sei Dank hat die Gesellschaft die Dinge, wie immer, unter Kontrolle.
    Aber dank meiner Mutter, die oft von ihrer Arbeit als Gärtnerin im Arboretum erzählt, weiß ich,
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