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Die Ausgesetzten

Die Ausgesetzten

Titel: Die Ausgesetzten
Autoren: dtv
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herausfordernd die Hände in die Hüften, als sei sie bereit, sich auf ein Streitgespräch einzulassen.
     »Wenn Virginia Dare also nachCroatoan gefahren ist, warum hat HK Andrea dann auf Roanoke wieder in die Geschichte eingeschleust?«
    »Vielleicht hat John White sich geirrt?«, erwiderte Jonas. »Oder du hast etwas durcheinandergebracht?«
    »Nein, sie hat recht«, murmelte Andrea.
    Sie kauerte auf dem Boden und fuhr mit den Fingern immer wieder die eingravierten Buchstaben entlang.
    »Was glaubt ihr, wie lange das schon hier liegt?«, fragte sie niedergeschlagen. »Kann ein in Holz geschnitztes Wort im Freien
     lange überdauern? Jahrhunderte? Wahrscheinlich schon, oder?« Ihre Stimme schwankte, als würde sie wieder zu weinen anfangen,
     wenn Jonas oder Katherine ihr nicht das Richtige antworteten.
    » Jahrhunderte ?«
, wiederholte Katherine. »Auf keinen Fall! Hast du dir auf der Reise durch die Zeit den Kopf angeschlagen, Andrea? Es musste
     keine Jahrhunderte überdauern. Ich weiß nicht genau, wie alt du warst, als du aus der Geschichte entführt wurdest, aber du
     warst auf jeden Fall noch ein Kind. Jünger als achtzehn. Also kann diese Schnitzerei nicht älter als achtzehn Jahre alt sein,
     höchstens.«
    »Ich glaube nicht mal, dass sie so alt ist«, meinte Jonas. »Holz verrottet im Freien. Die Schrift ist jetzt schon blass und
     schwer zu lesen, seht ihr?«
    Am liebsten hätte er hinzugefügt: »Ich bin ein Pfadfinder. Ich kenne mich mit solchen Sachen aus«, nur damit Andrea ihn nicht
     für einen Vollidioten hielt.
    Doch diese warf sich über den Holzpfahl und vergrub das Gesicht in den Armen.
    »Nei-i-i-n«, stöhnte sie. »Das kann nicht sein.«
    Jonas sah Katherine an in der Hoffnung, eine Erklärung für Andreas seltsames Verhalten zu finden, die im einen Moment kicherte,
     im nächsten erstarrte und im übernächsten in Wehklagen ausbrach. Doch Katherine zuckte nur ratlos mit den Achseln, was nichts
     anderes hieß als »ist mir selbst ein Rätsel«.
    Nachdem sie sich einen Moment lang angestarrt hatten, ließ Katherine sich neben der jammernden Andrea nieder.
    »Ist ja gut«, sprach sie beruhigend auf Andrea ein und strich ihr über den Rücken. »Vergiss nicht, dass Jonas und ich hier
     sind, um dir zu helfen. Wir passen auf dich auf.«
    Wenn Katherine das Trösten übernahm, blieb ihm nur die Rolle des Beschützers, befand Jonas. Er sah sich um, als Dare plötzlich
     rechts von ihnen etwas anzubellen begann. Flüchtig gewahrte Jonas etwas Bleiches – ein weißes Hemd? Weiße Haut? Unwillkürlich
     warf er sich neben die beiden Mädchen und zog sie vom obersten Pfahl herab, außer Sicht.
    »Pst! Seid still! Da kommt jemand!«, zischte er Katherine ins Ohr. Er legte Andrea die Hand auf den Mund, doch offensichtlich
     war sie schon vor Schreck verstummt.
    Dare hörte nicht auf zu bellen, daher konnte Jonas nicht feststellen, ob Schritte näher kamen. Und wenn, wer immer es sein
     mochte, nun mitten auf die Lichtung trat? Sollten sie nicht lieber in den Wald zurückkriechen, solange noch Zeit dazu war?
    Jonas hob den Kopf so weit, dass er gerade eben über die umgestürzten Pfosten schauen konnte. Er überprüfte die Szenerie vor
     sich: Kiefern, Kiefern, Kiefern   … da! Etwas Bleiches bewegte sich zwischen den Bäumen und näherte sich der Lichtung. Jonas musste blinzeln, weil sich seine
     Augen ausgerechnet diesen Moment ausgesucht hatten, um sich wieder einzutrüben. Die Bewegung, die er sah, war verschwommen
     und unscharf, es war, als versuchte er einen Geist im Auge zu behalten.
    Oder   … vielleicht nicht unbedingt einen Geist   …
    Mit einem Grinsen ließ er sich wieder neben Andrea und Katherine fallen.
    »Alles in Ordnung«, wisperte er. »Es ist bloß ein Marker! Ich wette, er gehört zu Andrea!«

Sieben
    Zu dritt spähten sie über die Holzpfähle. Selbst Dare hörte auf zu bellen und sah einfach nur schweigend zu. Jetzt, wo Jonas
     wusste, dass er einen Marker beobachtete, war ihm klar, warum sich die Gestalt bewegte, ohne dass Äste raschelten oder kleine
     Zweige knackten.
    »Sie sind zu zweit!«, flüsterte Katherine.
    Jonas rutschte zu ihr hinüber, um sich die Sache aus ihrem Blickwinkel anzusehen. Sie hatte recht: Es waren zwei Gestalten,
     die lautlos zwischen den Bäumen hindurchglitten.
    »Vergewissern wir uns lieber, dass sie keine richtigen Menschen bei sich haben«, flüsterte Jonas düster zurück.
    Die Gestalten kamen näher und es wurde klar, dass niemand
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