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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition)
Autoren: Leonard Bergh
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richtige Universität besuchte, die richtigen Bücher las. Es war nicht schwer, den Schüler zu begeistern, denn wie die meisten Theologiestudenten suchte auch Donatus nach der reinen Lehre, dem unverfälschten Wort Gottes. Bald wurde er Mitglied eines Zirkels gut ausgesuchter junger Männer, die davon träumten, wie die Apostel selbst, den Glauben der Urchristen, die Worte Jesu‘ wörtlich zu leben. Man diskutierte leidenschaftlich, forderte heraus und zweifelte. Man entdeckte die Geschichte und bestärkte sich gegenseitig in der Vision, Gott jenseits des Katholizismus zu finden.
    Zusammen mit seinem Freund, einem jungen Frater, der diese schwärmerische Gruppe anführte, reiste Donatus nach Nordafrika, um die antiken Stätten der Donatisten zu besuchen. Es war sicher kein Zufall, dass dieser sonderbare Geistliche ausgerechnet in den Ruinen Karthagos auf sie zukam, um sie herumzuführen. Schon bald standen sie abseits der anderen Touristen und der Geistliche erzählte von der Geschichte der Kirche Karthagos, dem Aufbegehren gegen die Kollaboration der Christen mit Kaiser Konstantin und die Verfolgung der Donatisten, bis sich im 8. Jahrhundert endlich die rettende Legende bildete, sie seien vom Sturm der arabischen Eroberer hinweggefegt worden.
    »In Wahrheit aber«, sagte der Geistliche mit leuchtenden Augen, »vermischte sich die Lehre der Donatisten nicht nur mit der islamischen Religion, die Donatisten existieren bis heute und warten auf den Tag, da das erlittene Unrecht gesühnt werden wird.«
    Er wog die Wirkung seiner Worte genau und passte den Augenblick ab, als die Empörung der jungen Theologen ihren Höhepunkt erreichte.
    »Die Donatisten sind wieder aufgestanden. Wir haben Posten innerhalb der katholischen Kirche eingenommen, sie unterwandert und dafür Sorge getragen, dass der wahre Glaube nicht stirbt. Wir nennen uns Circumcellionen. Wir sind die Soldaten Christi.«
    Soldaten Christi! Das war mehr, als die schwärmerischen Studenten zu träumen gewagt hätten. Wenig später befanden sie sich in einem Ausbildungslager der Circumcellionen, um darauf vorbereitet zu werden, irgendwo auf der Welt, irgendwann, irgend jemanden zu töten, der dem wahren Glauben gefährlich war. Der Katholizismus sollte aus der Welt getilgt werden wie eine uralte Schuld.
    Der Ausbruch des Algerienkrieges Anfang November 1954 brachte eine schmerzliche Wende im Leben der neuen Kämpfer, die bis dahin nur wilden Phantasien nachgehangen waren. Die Rekruten Christi blieben lange von den Kampfhandlungen verschont, doch das Camp war keineswegs so gut verborgen, wie man angenommen hatte. Eines Nachts wurde das Lager von einer Kompanie Fremdenlegionäre überrannt. Die Franzosen nahmen an, die jungen Circumcellionen seien Angehörige einer algerischen Guerillatruppe und hatten Befehl, keine Fragen zu stellen. Die Ausbildung der Gotteskrieger war hart gewesen, und keiner der Rekruten zögerte, sein Können auf die Probe zu stellen. Es war eine aussichtslose Metzelei. Donatus sah, wie ein Legionär im Feuer seines Revolvers fiel, einen zweiten machte er von hinten mit dem Messer nieder. Das Blut des Mannes rann seine Hand hinab. Für eine entsetzliche Sekunde überkam ihn das heiße Verlangen, es wieder und wieder zu tun. Dann aber lief sein geliebter Freund vor das Mündungsfeuer eines Maschinengewehres. Der Frater wurde von den einhämmernden Geschossen in Stücke gerissen. Erst als das Maschinengewehr endlich schwieg, durfte der zerfetzte Leib zu Boden fallen. Donatus stürzte zu ihm, starr vor Entsetzen. Er streckte die Hände aus, doch wo einst die Brust des jungen Mannes gewesen sein musste, war nur noch blutiges Fleisch.
    »Seid nicht bange um euer ärmliches Leben, Circumcellionen!«, ertönte die Stimme des Ausbilders. »Um wie viel mehr müsst ihr ewig leben, wenn schon der ewig lebt, der nur sein irdisches Leben hingibt für Gott!«
    Wenig später war alles vorbei. Zwei Fremdenlegionäre warfen Donatus zu der Handvoll überlebender Rekruten auf einen Lastwagen. Er war als einziger unverletzt geblieben.
    Zu Hause beendete er sein Theologiestudium und trat in ein Benediktinerkloster ein, das ein heimliches Zentrum der Donatisten war. Bis auf den ungewöhnlichen Ordensnamen, den Pater Donatus mit seiner Profess annahm, erinnerte nichts mehr an die Monate in Nordafrika. Der Schleier des Geheimnisses legte sich über die Vergangenheit. Dass nur er unverletzt geblieben war, wurde zur Legende stilisiert.
    Der schwere Atem des jungen
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