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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin
Autoren: Yasmina Khadra
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Restaurant, das in die Luft gesprengt worden sei. Die Telefonzentrale steht kurz vor dem Kollaps. Es herrscht Alarmstufe Rot.
    Ezra Benhaim trommelt den Krisenstab zusammen. Krankenschwestern und Chirurgen laufen zur Notaufnahme, wo in hektischem, aber geordnetem Gewimmel Tragen und Transportliegen aufgestellt werden. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Attentat Tel Aviv erschüttert, und die Rettungsdienste gehen von Mal zu Mal mit größerer Effizienz vor. Aber Attentat bleibt Attentat. Auf die Dauer bekommt man es zwar technisch in den Griff, aber nicht menschlich. Emotion und Entsetzen passen nicht recht zu einem kühlen Kopf. Wenn das Grauen zuschlägt, zielt es immer als Erstes auf das Herz.
    Ich mache mich ebenfalls auf zur Notaufnahme. Ezra ist schon da, mit blassem Gesicht und dem Handy am Ohr. Mit der anderen Hand versucht er, die Vorbereitungen für die Operationen zu dirigieren.
    »Ein Selbstmordattentäter hat sich in einem Restaurant in die Luft gesprengt. Es gibt mehrere Tote und eine Menge Verletzte«, verkündet er. »Lasst Raum 3 und Raum 4 räumen. Und haltet euch bereit, die ersten Opfer in Empfang zu nehmen. Die Krankenwagen sind schon unterwegs .«
    Kim, die in ihr Büro gegangen war, um ihrerseits zu telefonieren, stößt in Raum 5 zu mir. Dort sollen die Schwerverletzten hingebracht werden. Manchmal, wenn die OP-Räume nicht reichen, wird auch an Ort und Stelle amputiert. Zusammen mit vier anderen Chirurgen überprüfen wir das Einsatzmaterial. Krankenschwestern sind rund um die OP-Tische zugange, mit flinken, präzisen Gesten.
    »Es gibt mindestens elf Tote«, berichtet Kim, während sie die Apparate in Gang setzt.
    Draußen heulen die Sirenen. Die ersten Krankenwagen erreichen den Innenhof. Ich lasse Kim mit den Apparaten allein und laufe zu Ezra in die Eingangshalle. Die Schreie der Verwundeten hallen durch den Raum. Eine beleibte Frau, die fast nackt ist und noch größer scheint in ihrem Entsetzen, windet sich auf einer Trage. Die Pfleger, die ihr beistehen, haben Mühe, sie ruhig zu halten. Sie wird an mir vorbeigetragen, mit gesträubtem Haar, hervorquellenden Augen. Gleich dahinter wird ein blutüberströmter kleiner Junge eingeliefert. Gesicht und Arme sind so geschwärzt, als käme er direkt aus einer Kohlenmine. Ich greife nach seiner Liege und schiebe sie zur Seite, um den Weg frei zu machen. Eine Krankenschwester kommt mir zu Hilfe.
    »Seine Hand ist abgerissen !« , schreit sie.
    »Es ist jetzt nicht der Moment, die Nerven zu verlieren«, herrsche ich sie an. »Legen Sie ihm einen Knebelverband an und bringen Sie ihn auf der Stelle in den OP-Saal. Jede Minute zählt .«
    »Sehr wohl, Herr Doktor.«
    »Sind Sie sicher, dass Sie es schaffen ?«
    »Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Herr Doktor. Das bekomme ich schon hin .«
    Binnen einer Viertelstunde verwandelt sich das Foyer der Notaufnahme in ein Schlachtfeld. An die hundert Verletzte sind dort zusammengepfercht, die meisten liegen am Boden. Sämtliche Tragen sind mit ausgerenkten Körpern belegt, die furchtbare Splitterwunden aufweisen und manchmal gleich mehrere Brandwunden. Ein Schluchzen und Schreien durchzieht das ganze Krankenhaus. Von Zeit zu Zeit übertönt ein vereinzelter Schrei den Lärm und kündet vom Tod eines Opfers. Ein Patient stirbt mir unter den Händen weg, ohne dass ich Zeit gehabt hätte, ihn näher anzusehen. Kim informiert mich, dass der OP-Saal überfüllt sei und wir die Schwerverletzten nach Raum 5 verlegen müssen. Ein Verwundeter brüllt, man solle sich auf der Stelle um ihn kümmern. Sein ganzer Rücken ist gehäutet, das Schulterblatt liegt stellenweise bloß. Da er niemanden sieht, der ihm zu Hilfe kommt, packt er eine Schwester bei den Haaren. Es braucht drei kräftige Männer, damit er sie loslässt. Nicht weit davon schreit ein Verletzter, der zwischen zwei Liegen eingeklemmt ist, und strampelt wie ein Wilder. Vom vielen Strampeln fällt er schließlich von seiner Trage. Er hat jede Menge Schnittwunden und beginnt, mit den Fäusten ins Leere zu boxen. Die Schwester, die sich um ihn kümmert, wirkt überfordert. Ihre Augen leuchten auf, als sie mich sieht.
    »Schnell, schnell, Herr Doktor Amin …«
    Schlagartig versteift sich der Verletzte. Sein Geröchel, seine Zuckungen, sein Gestrampel, sein ganzer Körper erstarrt, und die Arme sacken ihm auf die Brust wie bei einer Marionette, der man die Fäden durchschneidet. Im Bruchteil einer Sekunde weicht der Ausdruck des Schmerzes in seinen
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