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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Autoren: Walter Wüllenweber
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Jahren gewachsen? In der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik ( PKS ) ist »erpresserischer Menschenraub« (§239a St GB ) nicht einmal eine Randgröße. 1994, als die erste gesamtdeutsche PKS erstellt wurde, haben die Beamten 130 Fälle gezählt. 15 Jahre später, im Jahr 2009, kamen sie auf 123 Fälle (von gut sechs Millionen Straftaten insgesamt). Kein Anstieg, sondern ein leichter Rückgang wie übrigens in der gesamten Entwicklung des Verbrechens in Deutschland. 14 Angst orientiert sich nicht zwingend an der Realität. Eine objektiv gewachsene Gefährdung der Wohlhabenden kann nicht der eigentliche Grund sein für den Rückzug der Reichen aus der Öffentlichkeit.
    Ausgerechnet die reichste und vermutlich einflussreichste Minderheit der Gesellschaft, die viele Entwicklungen maßgeblich mitbestimmt, entzieht sich beinahe vollständig der Beobachtung und Beurteilung durch die Medien und die Wissenschaft. Niemand kann ihnen Fragen stellen oder sie gar infrage stellen. Öffentlich nicht vorzukommen ist also kein Zeichen von Bescheidenheit der Reichen, es ist eine Demonstration von Arroganz. »Die im Dunkeln sieht man nicht«, hieß es noch bei Brecht. Heute ist es genau umgekehrt: Die da oben sieht man nicht.
    In der Renaissance begann der »Aufstieg des Geldes«, wie ihn der Historiker Niall Ferguson beschrieben hat. 15 Erst die wachsende Bedeutung des Marktes machte ein neues, revolutionäres Phänomen möglich: den sozialen Aufstieg. Zunehmend drängten reiche Aufsteiger in Kreise vor, die zuvor für den Adel reserviert waren. Seitdem die Abstammung als alleiniges Unterscheidungsmerkmal der Oberschicht ausdient hat, muss sich die feine Gesellschaft fortwährend neue Merkmale und Signale ausdenken, um sich vom Volk abzugrenzen: Kleidung, Wohnen, Akzent, Manieren, der gesamte Lebensstil wurde zum Zeichen sozialer Zugehörigkeit. Zu diesen Merkmalen gehörte es auch, öffentlich wahrgenommen, gesehen zu werden: auf der Bühne, dem Podest, dem Balkon, in der Ehrenloge, in der ersten Reihe in der Kirche. Im vergangenen Jahrhundert entwickelte sich die Präsenz in den Medien zu einem Privileg der Oberschicht. In den Zeiten von YouTube, von Castingshows und der Allgegenwart massenmedialer Berichterstattung ist Öffentlichkeit jedoch kein Zeichen von Exklusivität mehr. Andy Warhols Prophezeiung, »in der Zukunft wird jeder für 15 Minuten berühmt sein« hat sich längst erfüllt.
    Um sich noch unterscheiden zu können, wendet die heutige Oberschicht die gegenteilige Methode an: Sie zeigt ihre Stellung, indem sie sich das Recht nimmt, unerkannt zu bleiben. Die öffentliche Zurückhaltung ist ihr Erkennungsmerkmal. Es ist das Klassensignal der deutschen Oberklasse. Vermutlich ist das eine der wichtigsten Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte in der Oberschicht. Die heutigen Reichen sind unbekannte Wesen. Sie sind scheu wie die Schneeleoparden im Tierfilm. Sie protzen nicht, sondern verstecken sich hinter Toreinfahrten, auf denen kein Name an der Klingel steht. Und hinter aggressiven Anwaltskanzleien. Die deutschen Reichen tun so, als gäbe es sie gar nicht.
    »Die Geldelite in Deutschland ist sehr zurückhaltend«, weiß Michael Schramm. »Reichtum soll nicht zu sichtbar werden.« 16 Schramms Heimat ist die verschwiegene Welt des Geldes. Er ist persönlich haftender Gesellschafter der kleinen und feinen Frankfurter Privatbank Hauck & Aufhäuser. »Früher haben Banken ihre vermögenden Kunden zu »Sehen-und-gesehen-werden-Events« eingeladen«, berichtet Schramm. »Wenn wir heute ein Golfturnier veranstalten, dann auf Mallorca. Weil man dort gerade nicht gesehen wird.«
    In Amerika war der Bankier schon zu Gast bei »First Million Parties«, bei der Neureiche ihre erste Million feiern. »Hier wäre das undenkbar.« In den USA gilt die Stretch-Limousine als das Symbol für Reichtum. »In Deutschland ist es der nicht gestrichene Gartenzaun«, sagt Schramm. Dahinter beginnt die unsichtbare Welt des großen Geldes.
    In Frankfurt versteckt sich das Geld nicht. Selbst vom Taunus aus kann man es sehen. Das Geld der Banken. Im Bankenviertel sind seit 1990 zehn Geldhäuser in den Himmel gewachsen, allein fünf davon sind über 200 Meter hoch. Von wegen Zurückhaltung. Laut und grell wie eine Werbepause im Privatfernsehen brüllen die Türme ihre Botschaft ins Land: Seht her! Wir machen Geld.
    Doch diese Banken senden nicht nur dieselben Signale wie die Werbung, sie wenden sich auch an dieselbe Zielgruppe: die Mittelschicht.
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