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Die Angstmacher

Die Angstmacher

Titel: Die Angstmacher
Autoren: Anja Krueger
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Entscheidungen der Agentur nehmen. Die Interessen von Versicherungsnehmern müssen nicht identisch sein. Die Chemie- oder Nahrungsmittelindustrie hat in Versicherungsfragen andere Wünsche als Privatleute. Möglicherweise widersprechen sie sich, zum Beispiel hinsichtlich von Verjährungszeiten. Im Internet ist nicht nur der detaillierte Haushaltsplan von EIOPA abrufbar, auch Treffen von Bernadino und Montalvo sind verzeichnet. So will sich die Agentur gegen den Vorwurf schützen, Lobbyisten zu viel Gehör zu verschaffen.
Zum Glück gibt es Europa
    Für die Versicherer ist die Europäische Union und die Gemeinschaftswährung eine prima Sache. Die großen deutschen Gesellschaften können in der Nachbarschaft unkompliziert gute Geschäfte machen, durch den Euro sind Finanztransaktionen einfacher, und es gibt quasi keine Konvertierungsrisiken mehr.Aber die Europäische Union ist auch für Kunden von Versicherern eine gute Sache. Ohne die Union würde es mit dem Verbraucherschutz in Deutschland noch weniger vorangehen. Auch wenn die Branche alles tut, um Fortschritte zu konterkarieren.
    Ab Dezember 2012 dürfen Versicherer keine Policen mehr verkaufen, bei denen Frauen und Männer wegen des Geschlechts unterschiedliche Preise zahlen müssen. Der Europäische Gerichtshof hat das im Frühjahr 2011 verboten. Damit geht eine über Jahre anhaltende Diskriminierung zu Ende – aber billiger wird es für niemanden. Dafür sorgen schon die »Sicherheitszuschläge«, die sich die Unternehmen vorbehalten. Weil sie nicht wissen, wie viele Frauen und wie viele Männer eine private Rentenversicherung abschließen werden, werden eben alle behandelt, als seien sie Frauen. Das hat den – für die Versicherer – angenehmen Nebeneffekt, dass die zu hoch kalkulierten Sicherheitszuschläge zu erheblichen Anteilen bei ihnen hängen bleiben werden.
    In Deutschland sind unterschiedliche Tarife für Frauen und Männer in der Lebens- und Krankenversicherung üblich, teilweise auch in der Unfallversicherung. Weil Frauen länger leben als Männer, zahlen sie in der Risikolebensversicherung bislang für die gleiche Leistung weniger Beitrag und in der Rentenversicherung mehr. Dass Frauen, die immer noch deutlich weniger als Männer verdienen, mehr für die spätere gleichhohe monatliche Rente zahlen müssen, ist ein sozialpolitischer Hohn. Geringere Beiträge in der Risikolebensversicherung sind dafür kein Ausgleich. Dass die Versicherungswirtschaft nicht auf die Idee gekommen ist, selbst etwas gegen diese Ungerechtigkeit zu tun oder diesen Skandal zumindest zum Thema zu machen, zeigt einmal mehr, wie ungeeignet diese Branche ist, wichtige sozialpolitische Aufgaben zu übernehmen. Statt den Missstand anzuprangern, hat sie seine Abschaffung mit großem Geheule beklagt. »Mit der Entscheidung wird ein zentrales Prinzip der privaten Versicherungswirtschaft, nämlich das Prinzip der Äquivalenz von Beitrag und Leistung, infrage gestellt«, schimpfteder Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands Jörg von Fürstenwerth. »Es ist davon auszugehen, dass die Versicherungen teurer werden«, meldete sich der Vorstandsvorsitzende der Allianz Deutschland Markus Rieß zu Wort. 60 Ungleiches gleichzubehandeln sei falsch. »Es ist ein Fehler, unterschiedliche Risiken zu sozialisieren«, sagte Alexander Erdland, Chef des Finanzkonzerns Wüstenrot & Württembergische. 61 Dabei hat die Branche schon seit Jahren Erfahrungen mit Unisex-Tarifen. Riester-Renten dürfen gar nicht anders angeboten werden. Zu den ganz wenigen aus der Branche, die das Urteil begrüßten, gehörte der Bundesverband der FinanzFachFrauen. »Natürlich weisen Frauen und Männer Unterschiede auf. Aber das darf kein Grund sein, die Beiträge zu differenzieren«, sagt Regina Weihrauch von den FinanzFachFrauen in Göttingen. Der Verband ist enttäuscht über die Reaktionen der Versicherungsbranche auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. »Wir Frauen müssen aufpassen, dass die Diskussion nicht auf unserem Rücken ausgetragen wird, und dürfen dieser plumpen und einfachen Argumentation nicht folgen«, sagt Regina Weihrauch. Im Schnitt müssten vierzigjährige Frauen mit einer Rundum-Versorgung mit Berufsunfähigkeitspolice, privater Renten- und Krankenversicherung 1500 Euro mehr im Jahr an Versicherungsprämien zahlen als Männer. 62
    Die deutsche Politik ist nicht willens oder nicht fähig, den Verbrauchern im ungleichen Verhältnis zu den starken Versicherern und ihren großen
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