Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks
Autoren: Seré Prince Halverson
Vom Netzwerk:
doch ich hatte Angst, dass mein Gesicht mich verriet und einen Stachel in ihre glückliche Ahnungslosigkeit trieb. Frank bot an, Joes Eltern und Verwandte mindestens bis zum nächsten Morgen fernzuhalten. Ich nickte, wollte weder seine Eltern noch seinen Bruder oder sonst jemanden weinen sehen oder irgendetwas hören, das nach Niederlage klang. Wir mussten uns darauf konzentrieren, ihn zu finden.
    Zu Hause rief ich als Erstes die Kinder an. »Habt ihr Spaß?«, fragte ich Annie.
    »O ja«, sagte sie. »Lizzie hat uns erlaubt, alle Kissen von den Möbeln zu nehmen und damit ein Haus zu bauen. Und wir dürfen heute Nacht sogar darin schlafen!«
    »Echt cool. Ihr wollt die Nacht also dort bleiben?«
    »Ist wahrscheinlich besser so. Molly will nur in unserem Kissenhaus schlafen, wenn ich bei ihr bleibe. Du kennst ja Molly.«
    »Ja, ist wahrscheinlich besser so.«
    »Gute Nacht, Mommy. Kannst du mir Daddy geben?«
    Ich beugte mich auf dem Sofa vor, zog die Schnürsenkel meiner Stiefel auf, schluckte, zwang mich zu einem lockeren Tonfall. »Er ist noch nicht da, Banannie.«
    »Okay, dann gib ihm das.« Ich wusste, dass sie jetzt das Telefon an sich drückte. »Und das ist für dich … Tschüs.«
    Zach kam gerade lange genug ans Telefon, um zu sagen: »Ich liebe dich ganz doll.«
    Ich legte auf, rührte mich nicht von der Stelle. Callie legte sich mir zu Füßen und stieß einen tiefen Seufzer aus. Die Flurlampe warf Licht ins dunkle Zimmer. Ich hatte Joes Stativ in der Ecke aufgestellt, als Begrüßung, wenn er heimkam, doch plötzlich kamen mir die drei Beine und die fehlende Kamera wir ein böses Omen vor. Ich starrte die Uhr auf dem Beistelltisch an, ein Erbstück der Capozzi-Familie. Sie tickte ja, nein, ja, nein. Ich ging hin und machte das Glastürchen auf, hielt den Finger zwischen das hin und her schwingende Pendel, brachte es zum Stehen. Stille. Mit der Fingerspitze schob ich den Stundenzeiger zurück zu der Morgenstunde, als Joe sich neben mir zu regen begann. Ich hatte seine weichen Brusthaare geküsst, seine warme Schulter umfasst und gesagt: »Bleib. Geh nicht. Bleib hier bei uns.«

    Am nächsten Tag fand ein Schweizer Tourist Joes Leiche, aufgedunsen und in Seetang gehüllt, als hätte ihn das Meer mumifiziert, in dem vergeblichen Versuch, sich zu entschuldigen. Diesmal öffnete ich Frank die Tür und umarmte ihn, bevor er etwas sagen konnte. Doch einen Moment später lehnte er sich zurück und schüttelte nur den Kopf. Ich machte den Mund auf, um
Nein
zu sagen, doch das Wort verklang tonlos.

    Ich bestand darauf, ihn zu sehen. Allein. Frank fuhr mich zu McCready’s Bestattungsinstitut und stand neben mir, als eine grauhaarige Frau mit orange verfärbten Händen erklärte, Joe sei noch nicht so weit, ich könne ihn noch nicht sehen.
    »Nicht so weit?« Ein seltsames, schrilles Lachen schob sich an dem Kloß in meinem Hals vorbei.
    Frank neigte mir den Kopf zu. »Ella …«
    »Na und? Wer zum Teufel ist denn je so weit?«
    »Entschuldigen Sie, junge –« Doch dann schüttelte sie den Kopf, nahm meine Hände und sagte: »Kommen Sie mit, meine Liebe.« Sie führte mich vom noblen Empfangsbereich durch den ebenso stilvollen Flur mit Teppichboden, Magnolientapete und Mahagonitäfelung in den hinteren Teil mit den Arbeitsräumen, wo der heruntergekommene Korridor mit fleckigem, schadhaftem grünen Linoleum ausgelegt war.
    Wie war das möglich? Dass er auf dem Tisch in diesem kühlen Raum lag, der einer überdimensionalen Edelstahlküche glich? Jemand hatte ihn gekämmt, den Scheitel auf der falschen Seite gezogen, vielleicht um die Wunde am Kopf zu verdecken, und ihn bis zum Hals mit einem Laken bedeckt – mehr nicht. Ich zog meine Jacke aus und breitete sie über seine Schultern und Brust, sagte seinen Namen immer und immer wieder.
    Sie hatten ihm die Augen geschlossen, aber sein rechtes Lid war eingesunken, und ich begriff, dass das Auge fehlte.
    Seine Augen seien Satellitenbilder von der Erde, hatte ich immer gesagt, ozeanblau mit hellgrünen Tupfen – ein Spiegel, in dem ich die ganze Welt sehen könne. In drei Sekunden konnte der Kummer darin in übermütigen Schalk umschlagen, und noch schneller schafften sie es, mich von der Hausarbeit weg ins Bett zu locken. Andererseits brauchte er sie nur sarkastisch zu rollen, um mich im Nu wütend zu machen.
    Sein erstaunliches Fotografenauge mit dem besonderen Blick auf die Dinge – wo war es hin? Würde Joes Sichtweise durch die Lüfte schwingend in einer Möwe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher