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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks
Autoren: Seré Prince Halverson
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mir, ihr beiden.« Frank stand hinter ihnen. Ich wusste, was ich zu sagen hatte. Ich würde nichts schönreden, so wie es meine Verwandten mir gegenüber getan hatten, als ich mit acht Jahren meinen Vater verlor. Ich würde nicht sagen, Joe wäre eingeschlafen und würde jetzt bei Jesus wohnen, oder er wäre jetzt ein Engel, weißgekleidet und mit Federflügeln. Es wäre einfacher gewesen, wenn irgendein Glaube mich erfüllt hätte, aber mein Glaube war in einem desolaten Zustand, ein wirrer Haufen, der ständig neue Formen annahm, wie Wäsche in der Waschtrommel.
    Annie sagte: »Was ist mit deinem Knie passiert?«
    Ich berührte es, doch ich konnte den Bluterguss nicht spüren, den ich mir am Vortag bei dem Sturz im Flur zugezogen hatte.
    »Da musst du ein Pflaster draufmachen.« Sie sah mich eindringlich an.
    Ich kniete mit dem anderen Bein auf dem Boden, zog beide Kinder zu mir heran und hielt sie fest. »Daddy hatte einen Unfall.« Sie warteten, regungslos, stumm. Warteten darauf, dass ich sie beruhigte, ihnen sagte, wo er war, wann sie ihm einen Kuss geben durften. Wann sie ihm eine Gute-Besserung-Karte basteln und aufs Frühstückstablett legen konnten.
Sag es. Sie müssen es von dir erfahren. Sag ihnen
: »Und er … Daddy … ist gestorben.«
    Ihre Gesichter. Meine Worte gruben sich in ihre zarte, makellose Haut. Annie fing an zu weinen. Zach sah sie an, sagte fast belustigt: »Nein, das stimmt nicht!«
    Ich strich ihm über den Rücken. »Doch, mein Schatz. Er war am Meer. Er ist ertrunken.«
    »Nie im Leben. Daddy schwimmt schnell.« Er lachte.
    Ich blickte zu Frank auf, und er kniete sich zu uns nieder. »Du hast recht«, sagte er. »Daddy ist ein guter Schwimmer … war es. Aber hör mir jetzt zu, ja? Eine riesengroße Welle hat ihn überrascht und vom Felsen gestoßen. Vielleicht hat er sich den Kopf angeschlagen, wir wissen es nicht.«
    Annie rang die Hände und schluchzte: »Ich will meinen Daddy. Ich will meinen Daddy!«
    »Ich weiß, Banannie, ich weiß das doch«, flüsterte ich ihr ins Haar.
    Zach sagte zu Frank: »Das stimmt nicht. Er schwimmt bestimmt zurück, nicht wahr, Onkel Frank?«
    Frank fuhr sich mit der Hand über den Bürstenschnitt, über die Augen, hockte sich zurück auf die Fersen und nahm Zach auf den Schoß. Drückte ihn an sich. »Nein, mein Kleiner, er kommt nicht zurück.« Zach wimmerte an Franks Brust, dann warf er sich plötzlich nach hinten und stieß einen Schmerzensschrei aus, in dem der ganze unfassbare Verlust zum Ausdruck kam.

    Ich habe keine Erinnerung daran, was als Nächstes passierte, oder besser gesagt, an die Abfolge der Ereignisse. Es war, als stünde unsere Einfahrt plötzlich voller Autos, als füllten sich das Haus und der Garten mit Menschen, der Kühlschank mit Chicken Cacciatore, Auberginenauflauf und Lasagne. Joes Familie war überall. Meine Familie bestand nur noch aus meiner Mutter, und die saß gerade im Flugzeug aus Seattle. Auf befremdliche, traurige Weise erinnerte mich der Tag an unsere Hochzeit vor zwei Jahren, das letzte Mal, als alle diese Menschen die Einfahrt mit ihren Autos vollgestellt und sich hier versammelt hatten, Speisen und Getränke im Gepäck.
    Joes Familie war laut – wie bei der Hochzeitsfeier, so auch jetzt in ihrer Trauer; und selbst die ersten Stunden der Fassungslosigkeit waren davon nicht ausgenommen. Seine Großtante, schon ganz in Schwarz, sprach als einziges Familienmitglied noch immer italienisch. Sie schlug sich auf die runzlige Brust und wehklagte:
»Caro Dio, non Giuseppe.«
    Doch es gab auch Phasen ungläubigen Schweigens, wenn alle stumm dasaßen, den Blick auf verschiedene Objekte geheftet – eine Lampe, einen Untersetzer, einen Schuh –, als suchte man bei den Dingen die Antwort auf die Frage:
Warum Joe
?
    Sein Onkel Rick schenkte hochprozentige Getränke aus. Sein Vater, Joe senior, trank viel und fing an, Gott zu verfluchen. Seine Mutter, Marcella, mit Annie und Zach rechts und links auf ihren mächtigen Schenkeln, sagte zu ihrem Mann: »Hüte deine Zunge, Joseph. Deine Enkel sind in diesem Zimmer, und Pfarrer Mike wird jeden verdammten Moment zur Tür reinkommen.«
    Ich saß in Joes altem Lieblingssessel aus Leder, ein Erbstück von seinem Großvater Sergio. Annie und Zach kamen und kletterten auf meinen Schoß, schmiegten sich unter meinen Armen an mich, das Gewicht ihrer kleinen Körper wie perfekte Briefbeschwerer, um mich auf meinem Platz festzuhalten. Joes Bruder David rief immer wieder mit
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