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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks
Autoren: Seré Prince Halverson
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ich waren gleich groß. Wir sahen die Welt auf die gleiche Weise und schmiegten uns so einfach in das Leben des anderen, wie Annies Hand sich an jenem Tag vor dem Laden in meine Hand geschmiegt hatte. Wir schliefen nicht an unserem ersten Date miteinander – so lange warteten wir nicht. Ich folgte ihm vom Parkplatz zu seinem Haus, half ihm beim Windelwechseln und Füttern des kleinen Zach, erzählte Annie eine Geschichte und gab den Kindern einen Gutenachtkuss, als machten wir das seit Jahren so. Keiner versicherte flüsternd dem anderen, dass er so etwas normalerweise nicht tue, das gestanden wir uns erst später ein. Doch tiefe Verletzungen bewirken manchmal eine gewisse Hemmungslosigkeit. Joe half, meinen Koffer ins Haus zu tragen, fand eine Vase für den Eimer voll Kornblumen – meine
Centaurea cyanus
, die auf dem Boden vor dem Beifahrersitz gestanden hatten und mir Glück bringen sollten. Wir redeten bis Mitternacht, und ich erfuhr, dass die Frau, deren Paisley-Morgenmantel noch immer am Haken der Badezimmertür hing, ihn vor vier Monaten verlassen hatte, dass ihr Name Paige war und sie seither nur einmal angerufen hatte, um sich nach Annie und Zach zu erkundigen. In unseren gemeinsamen Jahren danach rief sie nicht an. Kein einziges Mal. Wir liebten uns in Paiges und Joes Bett. Ja, es war hungriger Sex. Phantastischer hungriger Sex.

    Aber jetzt liege ich im Bett und denke:
Ich will nur die Zeit zurückdrehen, sonst nichts
. »Wir wollen dich wiederhaben«, flüsterte ich, zog die Arme sacht unter Annies und Zachs schweren Köpfen weg und ging auf Zehenspitzen ins Bad. Da stand Joes Aftershave, Cedarwood Sage. Ich öffnete die Flasche und sog den Duft tief ein, tupfte es auf mein Handgelenk, hinter die Ohren, neben den Kloß in meinem Hals. Sein Rasierer. Ich fuhr mit dem Finger über die Klinge und beobachtete, wie sich eine feine, sich mit den Resten seiner Barthaare vermischende Blutlinie bildete.
    Ich drehte den Hahn am Waschbecken auf, damit die Kinder mich nicht hörten. »Joe? Du musst unbedingt zurückkommen. Hör mir zu. Ich schaffe das nicht.« Die Monsterwelle war wie aus dem Nichts gekommen, und sie traf mich jetzt hier im Badezimmer. Ich bekam keine Luft, kämpfte gegen die tosende Kraft, die uns Joe entrissen hatte … Annies und Zachs Daddy. Schon einmal waren sie verlassen worden, von ihrer leiblichen Mutter. Wie viel konnten sie ertragen? Ich musste ihnen jetzt da durchhelfen. Doch gleichzeitig wusste ich, dass ihre bloße Existenz auch mich zusammenhalten und verhindern würde, dass ich zerbrach.
    Ich trocknete mir das Gesicht, atmete ein paarmal tief durch und öffnete die Tür. Callie drückte ihre kalte schwarze Nase in meine Hand, drehte sich um und wedelte mir mit dem Schwanz um die Beine, leckte mein Gesicht, als ich mich hinunterbeugte und ihren Rücken tätschelte. Ich wollte für die Kinder da sein, wenn sie aufwachten, also ging ich zurück ins Bett und wartete auf die Morgendämmerung, auf den Moment, wenn sie erwachten.

    Annie stand auf einem Stuhl und schlug Eier auf. Joes Mutter machte sich mit einer Sprühflasche über meinen Kühlschrank her, daneben war der Mülleimer, randvoll mit verdorbenen Lebensmitteln. Ich ging zu Annie und nahm sie von hinten in die Arme. Die Eidotter schwammen in der Schüssel, vier helle, makellose Sonnen. Sie machte sie mit dem Schneebesen kaputt und fing an, sie kräftig und konzentriert zu schlagen.
    Auf einmal drehte sie sich zu mir um und sagte: »Mommy? Du stirbst doch nicht, oder?«
    O Gott, jetzt kommen die Fragen.
Ich drückte meine Stirn an ihre. »Herzchen, irgendwann sterbe ich auch. Alle müssen sterben. Aber jetzt habe ich erst einmal vor, noch ganz ganz lange hier zu sein.«
    Sie nickte mehrmals, wobei unsere beiden Stirnen hoch und runter wippten. Dann wandte sie sich wieder ihren Eiern zu und sagte: »Hast du … na ja … vor, irgendwann bald wegzugehen?«
    Ich wusste genau, was sie dachte.
An
wen sie dachte. Ich drehte sie zu mir herum. »O Banannie, nein! Ich werde euch nie verlassen, das verspreche ich, okay?«
    »Du versprichst es? Mit deinem kleinen Finger?«
    Sie hielt mir ihren kleinen Finger hin, und ich verhakte meinen damit.
    »Ich verspreche es sogar noch mit viel mehr als meinem kleinen Finger, ich verspreche es mit meinem ganzen großen Ich.«
    Sie wischte sich über die Augen und nickte noch einmal. Dann widmete sie sich wieder ihren Rühreiern.
    Immer mehr Leute trafen ein, die alles Mögliche reparierten: die aus
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