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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen
Autoren: Hedwig Appelt
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Geschichte der Amazonen auch gar nicht allzu wörtlich nehmen, um sich an ihrem selbstbestimmten Lebensentwurf zu orientieren. Wie die Umsetzung von „damals“ in „heute“ gelingen könnte – auch dafür gibt die Unterhaltungsindustrie ein Beispiel. Lara Croft heißt die moderne Amazone, die, analog zu den antiken Vorgängerinnen, ebenfalls zwei Väter hat. Einen menschlichen, von Beruf Archäologe, und einen mythischen, wobei heutzutage Computer den Mythos ersetzen. Lara Croft wurde zuerst vom Computer animiert, bevor ihre Menschwerdung durch Angelina Jolie erfolgte. Im Film hat ihr der leibliche Vater die Liebe zur Archäologie in die Wiege gelegt, die als Verbindungselement zwischen der technisch versierten jungen Frau und dem Mythos dient. Lara Crofts technische Begabung führt der Film als modernes Pendant zur Kriegstechnik der Amazonen vor. Ihre körperlichen Fähigkeiten und Reitkünste gleichen denen der Amazonen aufs Haar. Schnell, gewandt, stark und den Männern haushoch überlegen gewinnt Lara Croft jede kämpferische Auseinandersetzung.
    Das Gesetz, das die echten Amazonen sich bei ihrer Staatsgründung selbst auferlegten, hat die Kriegerin von heute bereits internalisiert. Sie muss sich das Verlieben nicht verbieten, weil es ihr sowieso unmöglich ist. Zu wem sollte sie bewundernd aufblicken, |167| vor wem den Blick senken, bei wem Halt und Geborgenheit suchen, wo sie doch besser ist als jeder Mann. Das heißt nicht, dass sie jungfräulich keusch wäre, denn das wäre altmodisch. Sie nimmt sich durchaus in guter Amazonentradition den einen oder anderen Mann. Nicht, um Töchter zu zeugen, sondern um sich selbst als Frau zu bezeugen. Niemals allerdings verliebt sie sich. Denn dann gehörte sie zum dritten Typus der antiken Amazonen und hätte ihren Platz an der Seite von Hippolyte und Penthesilea, den beiden Königinnen, die am Amazonengesetz tragisch gescheitert waren.
    Die Kategorie des Scheiterns gehört aber weder in die Welt der Mode und Werbung noch in die der Unterhaltung und des Films. Ihr Ort ist die Literatur, die zum Thema Amazonen einen unerreichten Höhepunkt kennt: Heinrich von Kleists Trauerspiel „Penthesilea“ von 1808.
    Kleists Tragödie ist an keine Zeit gebunden. Wer heute ein innovatives Theater propagiert, zeigt die Penthesilea. Auch Schillers „Jungfrau von Orléans“, auf die noch kurz eingegangen werden soll, nimmt ein Thema auf, das heute noch aktuell ist: „Jeanne d’Arc. Die Frau des Jahrtausends“ ist der Titel eines Films, der zur Jahrtausendwende in die Kinos kam.

    In Kleists Drama erscheinen die Amazonen unter Führung ihrer Königin Penthesilea vor Troja. Ares hat sie angewiesen, mit den Griechen Nachwuchs zu zeugen. Das heißt: Diejenigen griechischen Helden, die von den Amazonen im Kampf besiegt werden, sind bestimmt, ihnen nach Themiskyra zu folgen. Doch Penthesilea kennt schon vorher einen Namen: Achill. Ihre Mutter hat ihn für sie ausgewählt, und die junge Königin ist bereits in diesen Namen verliebt, als sie vor Troja ankommt. Nur für ihn hat sie Augen, ihn hetzt sie, ihn stellt sie, hat ihn schon so gut wie besiegt – da lässt sie von ihm ab, schenkt ihm das Leben, das er nutzt, um sie gefangen zu nehmen. Auch Achill ist fasziniert von der schönen Kriegerin, so sehr, dass er sie heiraten und mit ihr in seine |168| Heimat zurückkehren möchte. Als er endlich versteht, dass Penthesilea ihm nicht folgen kann, weil ihr das Gesetz heilig ist, nach dem sie nur dem Mann angehören darf, den ihr das Kriegsglück zugespielt hat, fordert er sie zum Schein noch einmal ins Feld. Unbewaffnet will er sich ihr ergeben, ihr folgen, sie lieben – wenigstens ein paar Monate lang. Doch für Penthesilea gibt es kein „zum Schein“, für sie ist es ein Kampf auf Liebe und Tod. In voller Rüstung, begleitet von einem Tross aus Hunden, Elefanten, Sichelwagen und anderem Kriegsgräuel bricht sie im Wahnsinn über Achill herein und zerfleischt den Wehrlosen an der Seite ihrer Meute: „Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das eine für das andre greifen,“ sagt sie scheinbar leichthin, bevor sie das tödliche Wort gegen sich selbst wendet und stirbt.

    Schiller hat das tragische Moment des Amazonenstoffes „klassischer“ bearbeitet und die Problematik in eine andere Zeit und auf eine beliebtere Figur projiziert. Sein Drama um Liebe und Krieg heißt „Die Jungfrau von Orleans“. Indem er Jeanne d’Arc explizit Jungfrau nennt
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