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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen
Autoren: Hedwig Appelt
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Fähigkeiten im Superlativ besitzen – die Kraft von Herakles ist dafür ein Beispiel, sind sie gleichzeitig Frauen und übersinnliche Phänomene.
    Die Art, wie sie wahrgenommen wurden, ist vergleichbar mit der katholischen Sicht auf die Jungfrau Maria. Bei ihr, die gleichzeitig vollkommen göttlich und menschlich ist, spiegelt die himmlische Vollkommenheit die irdische und umgekehrt. Auf ähnliche Weise sind auch die Amazonen ganz von dieser Welt und ihr gleichzeitig vollkommen entrückt.
    Dieses Ineinanderfließen von Mythos und Geschichte wird möglich, weil die Geschichtsschreiber von damals nicht so beim Wort genommen werden dürfen, wie man das von heutigen Historikern erwarten kann. Selbst glaubwürdige Autoren wie Herodot, der als „Vater der Geschichtsschreibung“ gilt, füllen Wissenslücken mit Material, das keiner Realitätsprüfung standhält. Bei Herodot sind das zum Beispiel die Passagen, in denen er über die nördlich des Amazonengebietes liegenden Länder berichtet, die von Einäugigen, Riesen und Gold hütenden Greifen bewohnt werden.
    Er und manch andere Geschichtsschreiber, die von den Amazonen erzählen, sind oft gleichzeitig Geschichtensammler, die historische Leerstellen mit erfundenen, volkstümlichen oder mythischen Erklärungen füllen. Solche Geschichten sind im eigentlichen Sinne Sagen. Sie enthalten Phantastisches und Wahres wie die folgende Erzählung, nach der die ersten Amazonen von dem Volk der Skythen abstammen, die in vorgeschichtlicher Zeit aus dem Osten an die nördliche Schwarzmeerküste vordrangen. Plötzlich waren sie da und machten das Land zwischen dem Don, der in der Antike Tanais hieß, und den Karpaten zu skythischem Gebiet. Griechische Kaufleute, die auf ihren Handelsreisen bis an die Küsten des Schwarzen Meeres gelangten, brachten die Nachricht von den kriegerischen Skythen in ihr Mutterland, wo man |19| eine Erklärung für das Auftauchen dieses bisher unbekannten Volkes suchte und diese Leerstelle mit einem bewährten „Joker“ besetzte. Herakles, der älteste der griechischen Helden, der auf seinen abenteuerlichen Reisen bereits über das Ende der Welt hinaus gelangt war, wurde zum Urvater der Skythen ernannt, die damit auch gleich „gräzisiert“ waren. Dass Herakles viele Generationen später noch einmal bei den Nachkommen der Skythen auftauchen wird, muss niemanden verwundern. Wahrhaft große Helden sind zeitlos wie der Mythos, dem sie angehören.

    Herakles hatte von König Eurystheus den Auftrag bekommen, die Rinder des Riesen Geryon von einer Insel im Ozean nach Griechenland zu holen. Seine Reise führte ihn auf Umwegen durch das damals noch unbewohnte Gebiet der Skythen. Es war kalt hier, und der Wind aus Nordosten gab der eisigen Luft eine Schärfe, die selbst Herakles schmerzte. Er war erschöpft von dem Viehtrieb durch die halbe Welt und so müde und durchgefroren, dass er sein Löwenfell überzog und einschlief, ohne vorher die Pferde auszuspannen. Als er erwachte, waren sie verschwunden. Ohne die Pferde war an eine Rückkehr in die Heimat aber nicht zu denken. Herakles suchte das ganze Land nach seinen Tieren ab und geriet schließlich in eine Höhle, aus deren Innerem eine Gestalt auf ihn zukroch, die er beim Näherkommen als eine Schlange mit dem Oberkörper einer Frau erkannte. Ohne große Verwunderung zu zeigen fragte Herakles sie, ob sie vielleicht seine Pferde gesehen habe. Ja, sagte die Schlangenfrau, sie seien bei ihr, und Herakles könne sie wiederhaben unter der Bedingung, dass er sich bereit erkläre, mit ihr zu schlafen. Herakles erfüllte ihr den Wunsch, aber das Zwitterwesen gab die Pferde nicht frei und fand immer wieder einen Vorwand, um ihn aufzuhalten. So verging die Zeit, ein Sohn nach dem anderen wurde dem seltsamen Paar geboren, bis Herakles sich schließlich auf seine Pflichten gegenüber Eurystheus besann und entschiedener denn je die Herausgabe der Pferde verlangte. Die Schlangenfrau |20| holte die Tiere herbei, übergab sie Herakles und fragte ihn beim Abschied, was mit den drei gemeinsamen Söhnen geschehen solle, wenn sie erwachsen wären. Sie könnten im Land bleiben, über das sie als Mutter die alleinige Macht hatte. Oder dem Vater nachfolgen, wenn er das wünschte. Herakles überlegte kurz, griff nach seinem Bogen und zeigte ihr, wie er zu spannen war. Dann nahm er seinen Gürtel und legte ihn um. Wer von seinen Söhnen einmal den Bogen so wie er spannen und den Gürtel so wie er gürten würde, der sollte im Land
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