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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen
Autoren: Hedwig Appelt
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vergisst der Künstler den Menschen Hephaistos, den hässlichen, hinkenden Mann, der aus Angst vor Zurückweisung der Liebe und damit seiner Frau ausweicht. Ares ist ganz anders: Jung und dynamisch, skrupellos, |16| stark und keinen Streit fürchtend sieht er seine Chance, die schönste aller Göttinnen besitzen zu können. Und sie will auch. Will die Liebe spüren, für die sie gemacht ist, und beginnt das Spiel der Verführung, umgibt sich mit dem Schimmer der Traurigkeit, biegt den Kopf zur Seite, damit Ares ihre Tränen nicht sehe, und gibt ihm abgewandt die Chance, hinter sie zu treten und tröstend die Hand auf ihre Schulter zu legen. Sie muss nur noch aufstehen, scheinbar um sich zu fassen und die Tränen zu trocknen, und liegt schon in seinen Armen. Alles Weitere geschieht von selbst. Auch, dass am hellen Nachmittag der umherstreifende Sonnengott die beiden in flagranti erwischt und umgehend Bericht erstattet. Es gibt kein anderes Thema mehr auf dem Olymp, der Klatsch blüht und die Lager sind gespalten. Für Aphrodite ergreifen die meisten Göttinnen Partei, schließlich ist sie ja diejenige, die verlassen und gedemütigt wurde. Die männlichen Götter stehen dagegen geschlossen hinter Hephaistos und argumentieren im eigenen Interesse, man müsse doch der Ehefrau vertrauen können, wenn man einmal nicht zu Hause sei. Bestraft werden müssten die beiden auf jeden Fall.
    Ares wird dazu verurteilt, Hephaistos den Brautpreis zurückzuzahlen. Dann darf er gehen, zusammen mit Aphrodite, die bereits schwanger ist. Sie wird ein Mädchen zur Welt bringen und es, den Umständen nicht ganz entsprechend, Harmonia nennen.
    Für seine Tochter interessiert sich Ares erst viele Jahre später, als er sie im Hain von Akmonien wiedersieht und dort, nicht weit von der Heimat der sagenhaften Amazonen, mit ihr die berühmten „kriegsliebenden Töchter“ zeugt.
    Ares legt ihnen die Liebe zum Krieg in die Wiege. Aber es ist nicht das Talent von Kriegsherren und Strategen, das damit vererbt wird, sondern die Zügellosigkeit des Wütens. Ares ist ein anderer Kriegsgott als sein weibliches Pendant Athene, die mit Kalkül und Vernunft in den Streit der Parteien eingreift. Ares ist ein Sadist, der den Krieg als Selbstzweck inszeniert und genießt. Er ist blutgierig, zerstörerisch und blind in seiner Raserei, er ist |17| der Gott der verwundeten, schreienden, sterbenden Körper, dem das Blutvergießen ein Fest ist.
    Die Amazonen, die er mit Harmonia zeugt, sind also von Geburt an schon alles andere als Töchter aus gutem Hause.

    Obwohl sie göttlicher Herkunft sind, leben die Amazonen nicht bei den olympischen Göttern, sondern hier auf Erden. Das ist in vorgeschichtlicher Zeit zunächst nichts Ungewöhnliches. Zeus ist dafür bekannt, dass er auf seinen Streifzügen fernab des Olymp immer wieder irdischen Frauen nachstellt und mit ihnen Halbgötter zeugt, die ein menschliches Leben führen.
    Das Besondere an den Amazonen ist, dass sie keine Halbgöttinnen sind, sondern die Geschichte ihrer Herkunft doppelt erzählt wird. Als Töchter von Ares und Harmonia sind sie „Vollblutgöttinnen“. Gleichzeitig aber, wie die folgende Erzählung zeigt, ganz und gar menschlich. Die meisten Autoren, die über sie schreiben, schildern sie als fremde, aber durchaus reale Frauen, die in einem fernen Land ein außergewöhnliches Leben führen.
    Beide Herkunftstheorien haben nebeneinander Bestand, und die Geschichtsschreiber selbst weisen immer wieder auf den Mythos von der göttlichen Abstammung der Amazonen hin, als würden ihre Berichte erst dadurch ins rechte Licht gesetzt werden. Das Bild von den kriegsliebenden Arestöchtern liegt wie ein himmlischer Spiegel über den irdischen Kriegerinnen, der ihre Taten im göttlichen Widerschein zeigt und damit gleichzeitig ins Übermenschliche vergrößert.
    Es liegt nahe, dass diese Durchdringung von Mythos und Geschichte auch denjenigen Autoren gelegen kam, die sich um wahrheitsgetreue Berichte bemühten. Ihr Publikum kannte die Götterwelt und wusste, wer Ares, Aphrodite und Harmonia waren. Dieses Wissen konnte die Leserschaft auf die „Männer mordenden Kriegerinnen“ übertragen und sich so eine Vorstellung vom Ausmaß ihrer wütenden Kriege und leidenschaftlichen Liebe machen.
    |18| Die Spiegelung des Irdischen im Göttlichen zeigt darüber hinaus, dass die Amazonen nicht einfach eine Steigerungsform der weiblichen Existenz personifizieren. Anders als Halbgötter oder -göttinnen, die menschliche
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