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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt
Autoren: Hannes Hintermeier
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Dann Dosentomaten, Olivenöl – legen oder stellen? Wenn das Band ruckelt, gerät die Flaschenbatterie womöglich in Gefahr umzukippen. Wäre ja schade, ist ja Sekt dabei, Rotwein. Hardware nach vorn, Weichteile, nach Weichheitsgrad gestaffelt am Ende, Finale mit Klopapier, Küchentüchern… das zeigt erstens Selbstbewußtsein: Seht her, auch ich benötige solche Dinge! Sagt zweitens, hier kauft ein Umweltbewußter (Recycling, zweilagig). Und ist drittens der ideale Bodendecker, um den Korb vor fremden Blicken zu schützen – muß ja keiner wirklich sehen, was man da so alles einholt, ein bißchen Intimität in der Massendemokratie möcht’ schon sein; hinterher zerreißt sich wieder einer das Maul wegen der Zahnpasta, bei der man ja gefälligst auf Markenware – eben nicht, eben nicht! Da vorne entschwindet der orangefarbene Trennriegel. Die Tempeldienerin schiebt ihn auf die Metallschiene neben dem Band. Mit einem Ruck befördert sie die anderen Plastikteile gegen die Laufrichtung des Bandes. Eine stumme Aufforderung, ein letztes Signal. Unabwendbar. Jetzt ist die Reihe an dir. Sammle dich und trete vor. Er bugsiert den Einkaufswagen als metallisches Schutzschild vor sich her, lenkt nach links und bringt ihn neben der blauen Frau in eine vorübergehende Parkposition. Sie bleibt wie angeschnallt sitzen, das Band setzt sich in Bewegung, die H-Milch-Tüten, die in wenigen Sekunden in seinen Besitz übergegangen sein werden, nähern sich ihr, transportiert von schwarzem Gummi. Er sieht alles aus dem linken Augenwinkel, mit dem rechten Auge hakt er sich schon an den Knöpfen des blauen Arbeitsmantels fest. Je weiter nach unten sein Blick wandert, desto dunkler werden die Schmutzränder um die Knopflöcher. Aus den kurzen Ärmeln ragen Arme in einer grauweißkarierten Bluse. Beine sind nicht zu sehen; nur eine Hand, die linke, die mit gestreckten Fingern nach den ersten H-Milch-Tüten greift…
    Der Nagel des Zeigefingers ist eingerissen; ein malvenfarbener Nagellack, der schon bessere Tage gesehen hat, blättert unregelmäßig ab. Die Haut rissig, kein Wunder, denkt er, ist auch nicht der schönste Job… Warenbagger im Einzelhandelstagebau. Und dann sollste noch ein freundliches Gesicht machen. Macht sie ohnehin nicht. Sie macht gar keines. Jetzt hat er sich einen Augenblick den Luxus gegönnt, ihr Gesicht zu betrachten. Außer einer hochgezogenen Nasenwurzel und zwei konzentriert auf das Band gerichteten Augen kann er nichts behalten. Aber für Sozialromantik bleibt keine Zeit, die H-Milch-Tüten sind schon auf dem metallenen Trapez angelangt, welches das Gummiband abschließt, und drängeln sich in gefährlicher Enge. Er quetscht sich hinter dem Wagen durch und beginnt hastig die blauen Tetra-Packs in den leeren Gitterkorb zu schichten, achtlos, weil für Ästhetik des Stauens jetzt keine Zeit bleibt, weil die Flaschen schon herbeiklirren. Er hatte sich doch entschlossen, sie stehend auf das Band zu stellen. Da kommen sie, wie ein kleiner Trupp von angeheiterten Soldaten, verwegen aneinander stoßend. Das Olivenöl schunkelt verdächtig auf einer Außenseiterposition. Programmhänger werden nicht geduldet. Was hast du erwartet? Jesus, die kennt wirklich keine Gnade. Schon fängt sie an, dir in den Arm zu fallen. Unmißverständlich ihre Zeichen: Sieh zu, daß du Land gewinnst. Räum deine Flaschen ein, es geht weiter, die Maschinen stehen nicht mehr still. Lebensmittel als Lebensmittelpunkt. Das ist ja schon steuerlich so festgelegt. Dort, wo du dein Brot verdienst, dort wirst du auch versteuert. Na, ist ja nicht erste Sahne, eher goldene Zitrone. Irgendwo da unten bei der Frau ohne Unterleib, jenseits des Saums ihrer Blaukittelkante, wo das Knie sich beugt, irgendwo da unten muß ein Geheimpedal sein, das dem Gummiband Stop & Go befiehlt; aber vielleicht ist da auch noch ein Geheimknopf für den Großen Alarm, für den Überfall auf Konsumland – brrr… jetzt geht alles fürchterlich schnell. Die Weichteile rücken näher, die Stapeloberteile wie Joghurtbecher, Butterquader, Mozarellatüten. Er ist in einer wilden Hektik. Seine Zeit im Elysium läuft ab. Er ramscht die letzten Kleinteile hinunter in den gar nicht mehr so offenen Schlund seines Leihwarengrabes, Aufschub wird nicht gegeben. Schon packt er mit der Linken die Packung Klopapier, wechselt sie in einer angedeuteten Wurfbewegung in die Rechte und legt sie als krönende Trophäe obenauf, da sagt eine Stimme tonlos: vierundfünfzig-neunundneunzig. Das
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