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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt
Autoren: Hannes Hintermeier
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Alltägliches sei herstellbar mit eigenen Händen, etwas so Banales sei über Generationen anders hergestellt geworden als heute. Raunendes, unbewußtes Wissen, wie die Dinge funktionieren. Er hatte eine gewisse Scham empfunden, weil er niemals zuvor darüber nachgedacht hatte, wie die scharfe Substanz überhaupt in die Tube gelangte, geschweige denn, er hätte sich Gedanken gemacht, woraus das Zeug bestünde. Das war in den Tagen gewesen, als man noch die rote Tube Ajona (»Man verwende es sparsam. Eine linsengroße Menge genügt.«) benutzte; bevor sie irgendein Warentest als Höllenzeug verteufelte. Dieser Lateinlehrer war ohnehin eher dem Sinn des Lebens zugetan gewesen denn den Verwinkelungen des a.c.i.: Ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier mit Ostfronterfahrung, nach dem Kriege sogleich der SPD beigetreten, dem die kulturellen Leistungen der Römer stets mit Mörserangriffen in den Dünen der Ostseeküste durcheinander gerieten. Mit einer schönen Frau zu schlafen, das sei ebenso Kultur wie ein gepflegtes Abendessen bei Kerzenlicht, hatte er verkündet – das war es gewesen, was uns damals tatsächlich mehr interessierte als alles sonst; wobei ersteres noch in weiterer Ferne als ein Candlelight-Dinner war. Consumo ergo sum. Ich verbrauche, also bin ich. Ich kaufe, also bin ich. Ich ist ein anderer. Die andern, san mir die andern? Mir san mir.
    Es wurde nun wirklich Zeit, er spürte es an einem gewissen Echtzeitverlust, die profane Wallfahrt mit einer symbolischen Spende am Opferstock mit blaugewandeten Meßdienerinnen zu Ende zu bringen. Apotheose. Durfte ja damals nicht Ministrant werden, zu niedriger Blutdruck für höhere Weihen. Hätte frühes Aufstehen bedeutet, das wollte die Mutter nicht, selbst von einem noch niedrigeren Blutdruck am Frühaufstehertum gehindert. Der Bruder war dann in die Bresche gesprungen; hatte es bis zum Oberministranten gebracht, oder wie das hieß, befehligte am Ende eine halbe Kohorte schwungvoll in die Altar-Kurve biegender Kerzenträger im rotweißen Ornat. Wäre doch hier auch eine schöne Maßnahme: Kerzen am Altar. Ein bißchen lieblos ist es ja schon arrangiert. Wenig feierlich. Kein Wunder, daß die Leute schauten, als ginge es ihnen an den Geldbeutel. Das muß man doch eigentlich anders rüberbringen, daß sich die Leute froh und dankbar fühlen, dabeigewesen zu sein. Ich war dabei – nein, das war wieder etwas anderes… Schönhuber Franz. Der Republikanerscheff. Die Respublicaner. Marschierten mit den größten lokal verfügbaren Dumpfbeuteln in die Stadtparlamente und verschwanden mangels Masse sei Dank sofort wieder in jener Versenkung, in die sie erdgeschichtlich zweifellos gehörten.
    Wir sind auf alles programmiert? Das hatten wir schon, sieh jetzt zu, denkt er, und tut den entscheidenden Schritt: Bringt seinen Einkaufswagen vor dem Heiligtum in Stellung – parallel zu dem schwarzen Band, das die Opfergaben zur Vestalin transportiert, mit unsichtbarer Hand. Jetzt darf nichts mehr schiefgehen. Jeder Handgriff muß sitzen. Tempo House. Schon trägt er Lederjacke, Bürstenhaarschnitt, Sonnenbrille, I’m the law, der Hirncomputer rastert das Zielgebiet, thermonuklearer Schweiß, schau nicht nach links, schau nicht nach rechts, fixiere mit dem Zielsuchgerät die Nasenwurzel der Tempeldienerin, ein infraroter Punkt, genau zwischen den Augen. Du könntest schießen, mit einer Hand die Pump-Gun, noch auf den rechten Hüftknochen gestützt, durchladen, krratsch-krrotsch, Feuerstoß: fump-fump, ausgelöscht. Durchladen. Schnelle Drehung. Den Typen hinter dir am Kragen gepackt, über die Nachbarkasse segeln lassen, mit einem Fußtritt den Wagen vor dir bis zur Wand treten, splitternd bleibt er im Fenster stecken. Fump-fump, das war die Deckenbeleuchtung, eine Feuersirene trötet los, Dunkelheit, Schreie, Panik. Schaffe Verwirrung, nutze das Chaos, hinten beim Klopapier hat in einem Uterus aus gleißendem Mondlicht ein Terminator der nächsten Generation materialisiert. Hasta la vista, baby. Es wird Zeit, die Rechnung zu zahlen.
    »Die größten Hits der Flippers«. Irgend etwas ist schiefgelaufen. Es ist so neonhell wie eh und je. Der Terminator ist nicht zu sehen. Vor ihm klafft eine Lücke. Der Kunde, den er gerade noch ins Jenseits gefumpt hatte – wo ist die Pump-Gun abgeblieben? –, lauert noch immer hinter ihm. Verflucht. Jetzt aber dalli, die Einkäufe aufs Band. Nach Stapelgewicht sortiert. Erst die quaderförmigen Teile, H-Milch, O-Saft, Zucker, Mehl, Waschpulver.
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