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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Autoren: Volker Kutscher
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sprechen, der völlig apathisch im Wasser saß, aufrecht gehalten nur durch Polakowskis starke Arme.
    Rath stellte sich vor, wie Polakowski auch mit den anderen Opfern geredet hatte, wie er ihnen ihre Sünden vorhielt, während er sie langsam tötete. Wie er sie ausfragte über das, was ihm damals angetan worden war und seiner Geliebten, wie er sie ausfragte über den Hauptschuldigen, über Gustav Wengler.
    Und dann sah Rath, dass er nicht alleine war im Wald. Hinter einem dicken Kieferstamm hielt sich ein Mann versteckt, leicht geduckt, und starrte gebannt auf das Geschehen im Uferwasser, sein brauner Anzug fiel kaum auf in dieser Umgebung.
    Erich Grigat in Zivil. Der Polizeimeister hatte seine Dienstwaffe gezogen. Er hatte Rath nicht bemerkt, er war vollauf damit beschäftigt, auf Polakowski anzulegen.
    Rath verstand nicht ganz, was da los war, warum griff Grigat nicht ein? Da wurde sein Herr und Meister ersäuft, vor seinen Augen!
    Doch dann begriff er: Grigat wollte Polakowski erschießen, deshalb war er hier. Und er wartete auf den richtigen Moment, wollte nicht riskieren, aus Versehen Gustav Wengler zu erwischen.
    Mit seiner Dienstwaffe hätte Rath kurzen Prozess gemacht, doch die Walther lag in einer polnischen Grenzstube.
    Unten im Wasser hörte man Polakowski reden, Grigat hatte nur den Mörder im Blick und dessen nächstes Opfer. Rath griff einen Knüppel, der auf dem Waldboden lag, und näherte sich dem Polizeimeister langsam von hinten, gab acht, dass er auf keinen dürren Ast trat, der Lärm machen konnte. So etwas hatte er früher mal bei Karl May gelesen, und es funktionierte tatsächlich. Vielleicht hatte er auch einfach nur Glück. Und im selben Moment, da Gustav Wengler mit lautem Plätschern wieder unter Wasser gedrückt wurde, schlug er zu.
    Ohne einen Laut sackte der korpulente Mann zusammen, ging zunächst in die Knie wie in der Kirche und kippte dann seitlich auf den weichen Waldboden. Seine Dienstwaffe, eine Luger, fiel ihm aus der Hand. Rath nahm sie an sich, ging die letzten Meter zum Ufer hinunter und trat aus dem Schatten der Bäume.
    Polakowski hatte ihn noch nicht bemerkt, so sehr war er mit seinem Opfer beschäftigt und so laut plätscherte das Seewasser. Er hatte Rath den Rücken zugedreht und drückte Wengler, der rücklings im See lag, das Gesicht unter Wasser. Ein paar Blasen blubberten nach oben, sonst regte sich nichts, Wengler zuckte nicht einmal.
    Rath ertappte sich dabei, wie er Gefallen an dieser Szene fand: der große Gustav Wengler, ersäuft von seinem bemitleidenswertesten Opfer. War das nicht einfach nur gerecht? Hatte Wengler den Tod nicht verdient? Sollte er nicht einfach abwarten, bis Polakowski seine Arbeit erledigt hatte, und ihn dann festnehmen?
    Er musste einfach nur schön leise sein, um Polakowski nicht zu erschrecken und von seiner Tat abzuhalten.
    Die andere Seite seines Gewissens entschied sich dagegen. Hatte schon dafür gesorgt, dass seine Rechte Grigats Luger entsicherte und in Anschlag brachte. Dass seine Füße sich weiter dem Ufer näherten.
    Jetzt war es an der Zeit, die Sache hier zu beenden.
    »Kriminalpolizei Berlin«, ließ Rath sich vernehmen, »ich bin bewaffnet; Widerstand ist zwecklos. Leisten Sie meinen Anweisungen bitte Folge.« Er sah, wie Polakowskis Körper erstarrte. Er konnte das Gesicht nicht sehen, war sich aber sicher, dass sich in diesem Moment auch keine Miene rührte.
    »Holen Sie diesen Mann aus dem Wasser«, sagte Rath. »Langsam und vorsichtig bitte.«
    Polakowski gehorchte, hob Gustav Wengler an den Schultern hoch, und der atmete, kaum war sein Kopf an der Wasseroberfläche, laut und heftig ein. Der entlaufene Sträfling, der lange Jahre unrechtmäßig im Zuchthaus gesessen hatte, hielt sein Opfer, seinen einstmaligen Peiniger, über Wasser.
    »Bringen Sie ihn zu mir ans Ufer.«
    Rath wusste nicht, ob das Wengler noch retten würde. Er hatte keine Ahnung, ob und wann das Curare seine tödliche Wirkung entfaltete. Oder ob Wengler nicht jetzt schon zu viel Wasser in der Lunge hatte.
    Polakowski hatte sich noch immer nicht umgedreht. Er hatte den leblosen Körper Wenglers unter den Achseln gepackt und zog ihn langsam ans Ufer.
    »Und nun legen Sie ihn bitte ab, nehmen Sie beide Hände hoch und drehen sich um.«
    Auch diesem Befehl gehorchte Polakowski, aber anders als Rath gedacht hätte: Er drehte sich so blitzschnell um, dass Rath kaum verstand, was da geschah, und schlug ihm mit einer einzigen, schnellen Bewegung die Luger aus
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