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Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit

Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit

Titel: Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit
Autoren: Gillian Shields
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eine Hand aus. »Und jetzt gib ihn mir«, befiehlt sie. »Ich will ihn haben.«
      In diesem Moment macht etwas in meinem Hirn Klick. Sebastian hat ihr seine Hilfe verweigert. Das bedeutet, dass er sich entschieden hat, lieber zu verblassen, als mir Schaden zuzufügen. Er will nicht, dass ich sterbe. Er ist also doch nicht mein Feind; er wird es nie sein. Meine Angst löst sich auf wie ein Traum. Ich weiß, was ich zu tun habe.
      Ich löse das Band um meinen Hals. Das Amulett leuchtet unschuldig, ein hübscher Anhänger, mehr nicht. Ich lasse ihn in Mrs. Hartles ausgestreckte Hand gleiten.
      Ein Blitz aus blauem Feuer zuckt durch den Raum. Sie taumelt zurück, bricht dann über ihrem Tisch zusammen. Ich reiße den Talisman wieder an mich. Die Oberste Mistress ist überwältigt, bewusstlos, aber nur für einen Moment. Ich muss weg, bevor sie wieder zu sich kommt. Ich muss den Talisman an einen sicheren Ort bringen.
      Ich laufe zur Tür und reiße sie auf. Zwei Frauen in dunklen Gewändern und mit Masken stehen dort Wache. Sie machen einen Satz auf mich zu, um mich zu packen. Ich schlage die Tür wieder zu und verriegele sie mit zitternden Händen. Ich bin gefangen. Mrs. Hartle stöhnt und rührt sich. Verzweifelt laufe ich zum Fenster. Es ist klein und hoch und verschlossen. Ich schlage gegen das Glas, aber auf diese Weise gibt es kein Entkommen. »Bitte hilf mir, Agnes, bitte«, schluchze ich. Ich stehe direkt neben ihrem Portrait. Ihre grauen Augen sehen mich an, und ich strecke die Hand aus und ber?hre das Gem?lde. Das St?ck vert?felter Wand, an dem das Gem?lde h?ngt, ?ffnet sich wie eine T?r.
      Ich sehe einen grob behauenen Gang, der sich nach unten windet und dessen weiterer Verlauf sich meiner Sicht entzieht. Ich erinnere mich daran, dass Helen einmal von einem Tunnelgewirr gesprochen hat, das sich unter der Abtei erstrecken soll. Vielleicht führt dieser hier mich ins Freie, aber er ist so dunkel, so schmal. Die Frauen draußen klopfen an die Tür; die Oberste Mistress hebt langsam den Kopf. Ich muss hier weg. Ohne noch länger nachzudenken, betrete ich den Gang und ziehe die geheime Tür hinter mir zu. Sie schließt sich mit einem lauten Klicken. Ich bin eingeschlossen.
      Blind stolpere ich voran, ertaste mir den Weg, indem ich mit den Händen an den kalten, feuchten Wänden entlangstreiche. Es ist dunkel, so dunkel, dass ich die Dunkelheit in meiner Kehle schmecken kann. Jeder einzelne, zögernde Schritt führt mich weiter in die Tiefe. Du schaffst das, Evie; geh weiter, einen Schritt nach dem anderen. Ich kann Stimmen hören; da ist jemand hinter mir, das schwache Rascheln von Stoff erklingt. Geh weiter. Aber das Gewicht der Erde um mich herum bedrückt mich, umschließt mich immer enger. Ich bekomme keine Luft. Ich ersticke in einem Grab, kann nur noch darauf warten zu sterben.
      Und dann steigt die Erinnerung an eine Stimme in mir auf, und ich höre sie, hell und klar wie die eines Mädchens, warm und sanft wie die einer Mutter:
      Die Nacht ist dunkel, aber der Tag schon nah,
 Still, kleines Baby, hab keine Angst …
      Ein schwaches, silbriges Licht beginnt zu leuchten. Ich begreife, dass es vom Talisman kommt. Ich halte ihn fest in meiner Hand, und er glüht wie ein Stern.
      Ich bin nicht mehr allein. Agnes ist bei mir. Ich werde irgendwie hier rausfinden. Irgendwie werde ich diese Nacht überstehen.
       
 
      Lange wandere ich in diesem Gewirr herum, biege in endlose Gänge ab, laufe im Kreis, gerate immer wieder in Sackgassen. Aber jetzt scheine ich irgendwo angekommen zu sein. Dieser Ort hier fühlt sich größer an, wie eine breite Höhle. Meine Schritte erzeugen ein Echo. Ich weiß, ohne genau zu verstehen, wieso, dass ich mich unterhalb der zerstörten Kapelle befinde und dass irgendwo über mir die Sterne schimmern.
      Ich erstarre. Von weiter vorn kommt das Echo von Geräuschen. Schritte. Dann weht eine kräftige, frische Brise durch die unterirdische Höhle, und ich nehme den Geruch von Glockenblumen wahr …
      »Helen! Helen, bist du das?«
      Ein Blitz blendet mich, und dann sind Sarah und Helen plötzlich da, und ich werde von ihren warmen, lebendigen Körpern schier erdrückt, als sie mich umarmen und dabei zugleich lachen und weinen.
      »Wie habt ihr mich gefunden?«
      »Ich dachte, meine Mutter würde dich vielleicht hierherbringen«, antwortet Helen. »Das hat sie auch mit Laura getan. Wie bist du ihr entkommen?«
      »Sie wollte mir den Talisman wegnehmen,
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