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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
Autoren: Isabel Allende
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er.
    »Man kann nie wissen, was in Fleischbällchen drin ist.« Seine Großmutter lächelte milde.
    Alex fuhr der Schreck in die Glieder, und er beäugte misstrauisch die Reste auf seinem Teller. Bei Kate Cold war äußerste Vorsicht geboten. Vorfahren wie sie waren auch ungegessen schon lebensgefährlich.
    »Morgen musst du dich gegen ein halbes Dutzend Tropenkrankheiten impfen lassen. Zeig mal deine Hand her! Wenn sie entzündet ist, kannst du nicht mitfahren.«
    Sie untersuchte ihn ziemlich ruppig, kam zu dem Schluss, dass ihr Sohn John gute Arbeit geleistet hatte, goss – für alle Fälle – eine halbe Flasche Desinfektionsmittel über die Wunde und kündigte an, ihm am nächsten Tag eigenhändig die Fäden zu ziehen. Das sei ein Kinderspiel, sagte sie, das könne jeder. Alex zuckte zusammen. Seine Großmutter bekam so etwas Wildentschlossenes, wenn sie sich ihre Brille aufsetzte, die sie auf einem Markt in Guatemala gebraucht gekauft hatte und die, so zerkratzt, wie die Gläser waren, schon einiges mitgemacht haben musste. Während Kate den Verband erneuerte, erklärte sie ihm, die Zeitschrift International Geographic habe Geld für eine Expedition ins Herz des Amazonasgebiets zur Verfügung gestellt, in den Urwald zwischen Venezuela und Brasilien, um nach einem riesenhaften, möglicherweise menschenähnlichen Wesen zu suchen, das dort verschiedentlich aufgetaucht war. Man hatte gigantische Fußabdrücke gefunden. Wer in seiner Nähe gewesen war, berichtete, das Tier – oder primitive Menschenwesen – sei größer als ein Bär, habe sehr lange Arme und einen schwarzen Pelz. Es war so etwas wie der Yeti im Himalaja, nur eben mitten im Urwald.
    »Könnte ein Affe sein …«, befand Alex.
    »Ah, Herr Oberschlau, glaubst du, auf diese Idee ist noch niemand gekommen?«
    »Aber es gibt keinen Beweis, dass dieses Wesen wirklich existiert …«, wagte Alex einzuwenden.
    »Die Geburtsurkunde dieser so genannten Bestie haben wir nicht, Alexander. Ach ja! Da ist noch etwas Wichtiges: Es heißt, dass sie einen durchdringenden Geruch verströmt, von dem Tiere und Menschen in ihrer Nähe ohnmächtig oder gelähmt werden.«
    »Wenn die Leute davon ohnmächtig werden, dann kann doch niemand etwas gesehen haben.«
    »Genau, aber aufgrund der Spuren weiß man, dass die Bestie auf zwei Beinen geht. Und keine Schuhe anhat, falls das deine nächste Frage wäre.«
    »Nein, Kate, meine nächste Frage wäre, ob sie einen Hut trägt!« Das war doch nicht zu fassen.
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Ist sie gefährlich?«
    »Nein, Alexander. Sie ist allerliebst. Sie stiehlt nicht, verschleppt keine kleinen Kinder und macht das Eigentum anderer nicht kaputt. Sie tötet nur. Dabei macht sie keinen Dreck und keinen Lärm, sie bricht ihren Opfern lediglich alle Knochen und holt ihnen fein säuberlich die Eingeweide heraus, wie ein Fachmann.«
    »Wie viele Leute hat diese Bestie, oder was das sein soll, denn umgebracht?« Langsam wurde es Alex doch mulmig.
    »Nicht viele in Anbetracht der Überbevölkerung der Erde.«
    »Wie viele, Kate!«
    »Einige Goldsucher, ein paar Soldaten, den ein oder anderen Händler … Kurzum, die genaue Zahl kennt man nicht.«
    »Hat sie Indianer umgebracht? Wie viele?«
    »Das weiß man nun wirklich nicht. Die Indianer können nur bis zwei zählen. Außerdem stellen sie sich den Tod ein bisschen anders vor als wir. Wenn sie glauben, dass ihnen jemand die Seele geraubt hat oder in ihren Fußstapfen gelaufen ist oder Macht über ihre Träume besitzt, ist das zum Beispiel schlimmer als tot sein. Dagegen kann jemand, der gestorben ist, als Geist weiterleben.«
    »Hört sich verzwickt an.«
    »Wer hat behauptet, das Leben sei einfach?«
    Kate Cold erklärte ihm, die Expedition werde von einem berühmten Anthropologen geleitet, von Professor Ludovic Leblanc. Auf seine Nachfrage sagte sie, ein Anthropologe würde sich normalerweise für die Entwicklung des Menschen interessieren und deshalb zum Beispiel das Leben von Naturvölkern erforschen, dieser hier habe aber auch jahrelang im Grenzgebiet zwischen China und Tibet vergeblich nach dem so genannten Yeti, dem Schneemenschen, gesucht. Außerdem hatte er eine Weile bei einem bestimmten Stamm von Amazonasindianern gelebt, von denen er behauptete, sie seien die wildesten der ganzen Erde: Bei der geringsten Unachtsamkeit würden sie ihre Gefangenen aufessen. Diese Information war nicht eben beruhigend, gab Kate zu. Als Führer würde ein Brasilianer sie begleiten, er
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