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Die Abenteuer des starken Wanja

Die Abenteuer des starken Wanja

Titel: Die Abenteuer des starken Wanja
Autoren: Otfried Preußler
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Richtung, aus der das Schnarchen kam.
    »Dein
Sohn Iwan, den sie den faulen Wanja nennen, wird eines Tages ein starker Held
sein und große Taten vollbringen. Laßt ihn in Frieden auf seinem Ofen liegen,
bis sich die Zeit erfüllt hat. Ein Jahr noch, sage das deinen Söhnen Grischa
und Sascha — sie mögen ein Jahr noch mit ihm Geduld haben !«
    Wassili
Grigorewitsch zweifelte nicht daran, daß der Blinde die Wahrheit sprach. Aber
ob Grischa und Sascha ihm glauben würden? »Ich will dir für deine beiden Söhne
ein Zeichen geben«, sagte der blinde Mann.
    Er
erhob sich vom Boden und stieß seinen Wanderstab in die Erde. »Sieh diesen
dürren Stecken, Bauer! Zum Zeugnis dessen, daß ich die Wahrheit gesprochen
habe, soll er hier Wurzeln schlagen und grünen .«
    »Das
tote Holz da?«
    »Morgen
früh wird es Zweige tragen und frisches Laub. Das wird reichen, um Grischa und
Sascha zu überzeugen, meine ich .«
    Er
kehrte sich nun dem Haus zu und breitete die Arme aus.
    »Iwan
Wassiljewitsch«, sagte er, »Gottes Segen auch dir! Heute noch giltst du den Leuten
im Dorf als Faulpelz, der zu nichts nütze ist — und doch bist du ausersehen zu
großen Dingen. Dereinst wirst du Zar sein und über ein weites Reich herrschen.
Dazu verleihe der Herr dir die Kraft und die Weisheit auf allen Wegen. Amen.«
    Nach
diesen Worten wandte der blinde Mann sich zum Gehen. Wassili Grigorewitsch
geleitete ihn zum Hoftor hinaus auf die Straße und blickte ihm lange nach. Mit
einemmal war er guten Mutes.
    Es
schien ihm, als wandle der Blinde auf einer goldenen Wolke dahin. Oder war es der
Staub unter seinen Füßen, der in der Sonne schimmerte?
     
    A m Abend empfing Wassili
Grigorewitsch seine Söhne am Hoftor. Grischa und Sascha erwiderten seinen Gruß
mit finsterer Miene und riefen: »Wo steckt unser Bruder Wanja ?«
    »Er
liegt auf dem Backofen«, sagte Wassili Grigorewitsch.
    »Im
Ernst ?« fragte Sascha.
    Wassili
Grigorewitsch nickte und sagte:
    »Im
Ernst.«
    »Dann
wissen wir, was wir zu tun haben !« brummte Grischa.
»Aber die Schuld trifft nicht uns, sie trifft ihn allein — denn nun haben wir
keine andere Wahl mehr .«
    »Und
Wanja ?« fragte Wassili Grigorewitsch. »Wenn auch ihm
keine Wahl bliebe ?«
    »Dem ?« fragte Grischa erstaunt zurück. »Wie kommst du darauf ?« Da erzählte Wassili Grigorewitsch seinen Söhnen von dem
Besuch des Blinden, und nachdem er ihnen alles berichtet hatte, schloß er mit
den Worten:
    »Darum
bitte ich euch, ein weiteres Jahr mit Wanja Geduld zu haben, nur dieses eine
Jahr noch !«
    Grischa
und Sascha, man merkte es ihnen an, waren mißtrauisch. »Was dir der Blinde
erzählt hat, Vater — wer sagt uns denn, ob es stimmt ?«
    »Dafür
ist vorgesorgt«, meinte Wassili Grigorewitsch, und er führte sie hinter das
Haus, wo der Wanderstab in der Erde steckte.
    »Wie ?« fragte Grischa. »Das dürre Ding soll bis morgen Wurzeln
schlagen und Zweige und Blätter hervorbringen ?«
    »Ausgeschlossen !« rief Sascha. »Das gibt es nicht !«
    Dennoch
versprachen sie, bis zum anderen Morgen zu warten. »Belaubt sich der Stab«,
sagte Grischa, »dann geben wir Wanja das Jahr .«
    »Und
wenn nicht«, fügte Sascha hinzu, »brennt das Haus !«
    Sie
gingen zurück zu den Pferden, versorgten sie, wuschen sich, aßen zu Abend wie
alle Tage und wollten zu Bett gehen. Aber auf halbem Weg in die Schlafkammer
meinte Sascha:
    »Mir
ist ein Gedanke gekommen, Bruder. Wenn im Haus alles schläft, könnte jemand
kommen und uns den Stecken auswechseln — du verstehst. Darum sollten wir heute
lieber im Freien schlafen, finde ich .«
    »Das
ist gut«, sagte Grischa, »das tun wir, uns soll man nicht hinters Licht führen .«
    Da
holten sie ihre Strohsäcke aus dem Haus, legten sie rechts und links von dem
Stab auf den Boden und streckten sich darauf aus. Wenn nun jemand kam, um den
Stecken heimlich aus der Erde zu ziehen und auszutauschen — dann sollte er’s
nur versuchen!
     
    G rischa
und Sascha erwachten in aller Morgenfrühe vom Tau, der auf ihre Gesichter fiel.
Fröstelnd rieben sie sich den Schlaf aus den Augen. Der Wanderstab zwischen
ihnen war dürr und kahl wie am Abend zuvor. Das konnten sie deutlich erkennen,
wenn sie an ihm hinaufblickten in den grauen Himmel.
    »Ich
habe es ja gewußt !« brummte Grischa. »Von allem Anfang
an habe ich das gewußt !«
    Sascha
blies sich das Haar aus der Stirn.
    »Laß
uns aufstehen !« rief er, »und endlich tun, was wir
gestern abend schon hätten tun
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