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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur
Autoren: Oliver Jahraus
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Literatur deutet es schon an: Es geht in der Heldenepik um eine historische Zeit, so dass man sagen kann, dass erstmals in der Literatur historische Erfahrungen verarbeitet werden. Konkret geht es um die Völkerwanderung und damit um eine Zeit größtmöglicher politischer und sozialer Unsicherheit und Instabilitäten. Ehre ist ein Verhaltensmodell, beruhend auf einem Normenkatalog,das Stabilität im Instabilen garantieren kann. Doch auch die familialen Bande, zumal die in der direktesten genealogischen Linie vom Vater zum Sohn, stellen im Denken dieser Zeit einen nicht zu unterschätzenden Wert dar.
    4. Kann man mit Literatur Frauen erobern? Nein, und diejenigen, die die Frauen besingen, wollen das auch gar nicht. Im Gegenteil: «Wenn ein Sänger dieses Ziel je erreichen würde, würde es keine Inspirierung mehr geben, der Traum wird vorbei sein, und es würde keinen Minnesang mehr geben”, soll Rainer Maria Rilke gesagt haben. Diese Aussage hätte direkt auf Kafka gemünzt sein können. Sind Kafkas Briefe an seine langjährige Verlobte eine Form des späten Minnesangs? Immerhin hat er ihr immer wieder seine Liebe geschworen, aber er hat auch immer danach getrachtet, dass diese Liebe sich niemals in einer Ehe vollenden konnte. Als Erich Heller diese Briefe herausgab, überlegte er, seiner Einleitung folgenden Satz voranzustellen: «Die folgenden Gesänge sind das Werk eines unbekannten Minnesängers aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.» Interessant an dieser Bemerkung ist zweierlei: Der Sänger selbst sorgt dafür, dass die Frau ihn nicht erhört, und zweitens, die Frau als Adressatin ist eine notwendige Voraussetzung, dass Literatur überhaupt entsteht. Und das gilt im besonderen Maße für den Minnesang: Frauen und die Liebe zwischen Mann und Frau – allerdings, darüber darf man sich nicht hinwegtäuschen, noch ganz in männlicher Perspektive – geben jenen Gegenstand ab, um den im 12. Jahrhundert erstmals eine deutschsprachige Lyrik entsteht und mit dieser Lyrik insbesondere der Minnesang.
    Der Minnesang ab der Mitte des 12. Jahrhunderts zum Beispiel eines Friedrich von Hausen, Ulrich von Gutenberg, Heinrich von Morungen oder eines Reinmar von Hagenau ist vielmehr eine späte und zugespitzte Entwicklung. Die beiden Bestandteile des Wortes Minnesang beschreiben im Grunde genommen nicht allein eine Textgattung, sondern vielmehr einen Zusammenhang von Text, Gesang, Musik und Vortrag vor Publikum. Minne können wir nur in einem bestimmten Kontext mit Liebe übersetzen, aber man darf dabei nicht übersehen, dass das, was man heute unter dem Gefühl der Liebe versteht, nicht mit dem zur Deckung zu bringen ist, was sich im Minnesang ausdrückt. Gleichermaßen sind unsere heutigen Vorstellungen vom durchweg positiven Wert der Liebe, von ihrer individuellen Exklusivität,ja geradezu von ihrem subjektiven Totalitätsanspruch doch deutlich verschieden von der Liebeskonzeption des Minnesangs.
    Die hohe Minne ist absolut einseitig und muss einseitig bleiben. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass sich der Mann einer Frau verschreibt, dass er alles, was er tut, im Gedenken an sie und für sie tut, dass er gänzlich in ihren Dienst tritt. Das macht es notwendig, dass der Mann sich selbst prüft und sein Handeln danach befragt, ob er diesem Dienst auch gerecht werden kann. Hierfür liefert ein höfisches Männlichkeitsideal mit einem entsprechenden Tugendkanon die Grundlage. Auf der anderen Seite wird die Frau erhöht, sie wird ganz grundsätzlich als Ideal vorgestellt, in dessen Dienst der Mann vor allem sich selbst zu beweisen und an sich selbst zu bewähren hat. Körperliche Liebe und sinnliches Begehren fallen gänzlich aus dieser Konzeption heraus. Gleichzeitig aber ist die Frau auch kein Gegenüber, das in den Texten einen eigenen Ausdruck oder sogar eine eigene Stimme finden könnte. Erst später dann, beispielsweise durch zwei Autoren, die durch ihre Romane bekannt geworden sind und die auch Liebeslyrik verfasst haben, Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach, wird diese Vorstellung kritisiert, auch weil man sieht, dass diese Form der Lyrik dazu tendiert, zum bloßen Formalismus zu werden.
    5. Waren die Ritter der Tafelrunde Abenteurer? Ganz im Gegenteil. Im Grunde begann alles mit einer Geschichtsklitterung. Daraus erwuchs das große Modell einer Weltordnung, die jedem Einzelnen seinen Platz zuwies. Die englische Geschichte seit dem frühesten Mittelalter war ja nicht unbedingt grandios zu nennen,
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