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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition)
Autoren: Petra Morsbach
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Welt verloren, aber zwei, vereint in Liebe, sind unbesiegbar.
    Der Wind legt sich in der Dämmerung, es bleibt warm. Als wir uns dem Hof nähern, löst sie sich und springt davon. » Bis morgen!« rufe ich ihr nach. Sie dreht sich kurz um und winkt. Ist ja richtig, daß Frauen vor dem Äußersten zurückschrecken, kein Wunder bei den Konsequenzen; man fürchtet sich ja vor sich selbst! Ach, Sidonie, wenn du wüßtest, wie ich dich liebe, du würdest schreiend davonlaufen, ich darf nichts überstürzen, heute jedenfalls nicht, aber dann. Ich werde dir zeigen, wie ich lieben kann. Ich sehe uns daheim nach einer erfüllten Nacht, nach vertrautem Frühstück, sie entwickelt mit ernsthaftem Gesicht am Schreibtisch Romane im Gestus des Sozialistischen Realismus, und ich ziehe ihre Hände von der Tastatur.
    *
    Heute nacht träumte ich vom Ende des Krieges. Ich saß in einem Panzer, einer Art begehbarem Riesenpanzer von der Größe eines Schlachtschiffs, und begriff plötzlich, der Krieg war aus. Ich erklärte das meinen Soldaten und begann, die Kanonenkugeln über Bord zu werfen. Es waren große Kugeln, manche aus Stein wie im Mittelalter, sie rollten träge aus und hinterließen Spuren im Sand. Einmal kam außer Atem eine Funktionärin angerannt, eine vierzigjährige Schreckschraube, die sonst Jugendweihen organisierte, und rief etwas von Klassenfeind und innerem Feind; die warf ich auch raus. Die Soldaten, die schon länger keine Lust zum Kämpfen mehr gehabt hatten, wollten einen trinken gehen, aber ich verbot es.
    Ich will Sidonie anrufen und sagen: Der Krieg ist aus!
    Aber ich muß nach Münster. Es bleibt nicht mal Zeit zu frühstücken, geschweige denn anzurufen. Während ich vergnügt mit der Bahn nach Münster fahre, überlege ich, wie ich am Abend alles erzählen werde. Sidonie! werde ich sagen, wie du weißt, sollte ich heute in Münster zwei meiner Provinz-Skizzen fürs Radio lesen, war also leider nicht da. Und weil ich verschlafen habe, konnte ich nicht mal frühstücken, geschweige denn anrufen. Aber ich habe den ganzen Tag an dich gedacht. Und weißt du, was ich geträumt habe? Der Krieg ist aus!
    Vom Münsteraner Bahnhof fahre ich mit dem Stadtbus zum WDR , steige allerdings eine Station zu früh aus, weshalb ich reichliche zwanzig Minuten laufen muß. Während ich laufe, denke ich so intensiv an Sidonie, daß ich im Taumeln zu schweben meine, und während ich an sie denke, erblicke ich eine Telefonzelle und überlege, ob ich sie anrufen soll, um zu sagen, daß ich gerade auf einem ziemlich weiten Weg zum Funk, nachdem ich eine Station zu früh ausgestiegen bin, intensiv an sie denke.
    Das Aufnehmen dauert nur eine Stunde, aber die Fahrt mit der Eisenbahn jeweils zwei, also laufe ich noch ein bißchen durch Münster, dankbar und hochgestimmt. Ich sehe an meinen verschossenen Jeans hinunter und habe die Idee, eine neue Hose zu kaufen. Im Schaufenster sticht mir eine ins Auge, hell, italienisch, Leinen, Marke Cinque. Ich gehe in den Laden, um sie anzuprobieren.
    Die Verkäuferin sagt: » Machen Sie nur, es sind keine Nadeln mehr drin!« Aber beim Anziehen in der Kabine merke ich, daß die Hosenbeine mit einer Plasteklammer zusammengeheftet waren. Ich ziehe an der Plasteklammer, die sich öffnet, worauf sich Tinte auf Hose und Hände ergießt. Ich strecke die blauen Hände aus der Kabine und sage: » Sehen Sie, da war doch eine Klammer!« Die Verkäuferinnen schimpfen: » Die ist unabwaschbar!« Aber schließlich holen sie ein Spezialmittel.
    *
    Während der ganzen Rückfahrt freue ich mich darauf, Sidonie von meinem heiteren Tag zu berichten. Aber sie ist nicht da und geht nicht ans Telefon, auch am Kamin sitzt niemand. Ich schlendere über den verlassenen Hof hinüber zu den Bildenden Künstlern, wo Dora zusammen mit Bernd Nudeln kocht, auch sie sind gut zu mir, geben mir was ab und lachen über meine Erzählung. Danach mache ich noch einen Spaziergang, in stiller Vorfreude: Es ist ein glasklarer Abend, hell, aber im Schatten bereits kalt; als die Sonne hinter den leeren Feldern sinkt, fällt Tau. Angenehm, an so einem frühherbstlichen Abend sich auf Zweisamkeit zu freuen.
    Dann arbeite ich. Am Schreibtisch, wenn man mal dran sitzt, vergeht die Zeit schnell, auf einmal ist Mitternacht, zu Bett.
    Zunächst kräftig, dann unruhig geschlafen, Träume. Ein Ferkel kommt auf mich zu, niedlich im Ausdruck, aber physisch sehr groß, wie eine Kuh. Auch der Kopf ist nicht wirklich ferkelhaft, sondern platt, und
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