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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition)
Autoren: Petra Morsbach
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Welten …« Ich gehe etwas hinter ihr. Ich betrachte ihre Halslinie und lege in Gedanken die Handfläche meiner Rechten auf ihren Nacken, spüre mit dem Daumen ihr linkes, mit den Fingerspitzen ihr rechtes Ohr. Sie müßte stehenbleiben. Ich würde sie zu mir umdrehen.
    Sie dreht sich um. » Gäbe Starkregenereignis überhaupt ein Gedicht her?«
    Wir gehen weiter, sie fragt, ich verliere den Faden, knüpfe woanders an, sie staunt lebhaft, und bald sind wir fünf Kilometer gegangen. Vor uns taucht am Ende einer flachen Steigung ein Funkturm auf, zu dem ich noch nie gekommen bin, auch Sidonie angeblich nicht; eine zwei- oder dreistöckige Metalleiter führt hinauf. Wie auf Verabredung verlassen wir den Weg, lächeln verwegen über das Schild Benutzung auf eigene Gefahr! und erklimmen das Zwischendeck. Wir stehen auf einem Metallrost im Wind. Unten sehen wir Spaziergänger, Radler, ein langsam fahrendes Auto. Ringsum weites Land, gedämpfter Himmel. Vor mir Sidonies beseeltes Gesicht.
    » Ich habe von dir geträumt«, sage ich.
    » Von mir?« Sie lacht verlegen, vielleicht geschmeichelt. Herrgott, kapiert sie wirklich nichts, oder will sie Komplimente schinden?
    » Ja. Heute morgen, im Halbschlaf, habe ich ziemlich ausführlich von dir geträumt.«
    Sie schweigt, aufmerksam, belustigt.
    » Es war eigentlich nicht im Halbschlaf.«
    Sie kichert.
    » Ich war wach – entschuldige.«
    Sie schweigt. Es hat ihr die Sprache verschlagen. Sie sucht nach Worten. Ich ahne, welche sie gleich finden wird: Träumen darfst du, was du magst. Nur die Wirklichkeit –
    Ich aber denke: Welche Kraft liegt im Aussprechen der Wahrheit! Ich bin befreit, sie ist verlegen, ich einen Schritt voraus zwischen ihren Gefühlen und ihrem schwäbischen Verstand. Sie so verwirrt, daß sie sogar vergißt, sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen: so eine Schwäche in so einem gesunden Körper, einer so glatten Haut. » Du weißt aber …« beginnt sie. Unsere Blicke tauchen ineinander. In ihrem Unruhe und Zweifel, ja, aber auch eine gewissermaßen duldsame Sympathie. Meine Kraft wächst; ich kann lächelnd ohne Panik fragen: » Du hast einen anderen?«
    » Nein. Aber ich habe keine Lust auf Partnerschaft. Wenn ich zurückblicke …«
    » Wenn du zurückblickst …«, wiederhole ich zärtlich, zurückblicken, was für ein drollig anmaßendes Wort aus einem so unerfahrenen Mund.
    » Also«, sagt sie errötend, » ich finde eigentlich, daß die Nachteile überwiegen.«
    Errötet! Ja!! Und das Wort eigentlich meint eigentlich immer das Gegenteil, wart ab, ich werde dir die Vorteile zeigen, » Wer redet von Partnerschaft?« rufe ich aus, » Es ist doch nur, daß da – etwas zwischen uns ist! Es kann wachsen … Wir wollen es pflegen … Ich für dich, du für mich …«
    Sie schüttelt den Kopf, fast zärtlich.
    Ich werfe mich auf die Knie.
    In ihren Zügen Schreck, ein Funke Belustigung, Tumult.
    Ich knie vor ihr und breite die Arme aus. Sie ist reizend in der Verwirrung, altkluge, ahnungslose Sidonie! » Aber Henry, was soll …«
    » Ich will deine Kniekehlen küssen!«
    Es ist eng auf dieser Plattform, sie kann nicht fliehen. Sie lacht geniert und versucht mich hochzuheben, Handgemenge, aber nicht feindselig; da ich stärker bin, ziehe ich eher sie zu mir herunter, sie ruft leise: » Bist du verrückt, überall Spaziergänger …«, süße Spießerin, wenn sie sich wegen Spaziergängern Sorgen macht, sorgt sie sich um die Hauptsache nicht, und das macht mich glücklicher, als ich sagen kann, unsere Gesichter jetzt nah beieinander, ich lächle in ihre Augen empor, ich halte sie fest, es geht mir gut, ich spreche atemlos und dankbar in diese Augen: » Es geht mir gut!«
    *
    Auf dem Heimweg nehme ich ihre Hand. Sie zuckt kurz und überläßt sie mir, obwohl ich Widerstand in ihren Zügen sehe, nein, keinen Widerwillen, eher einen raschen Wechsel der Empfindungen. Ich frage nichts. Nach einiger Zeit ruckt sie, ich lasse nicht los.
    » Bleib ruhig, hab keine Angst«, beschwichtige ich. » Bin ich dir unangenehm …« Ich fühle, ich bin’s nicht, sie mag es, ich muß fragen, damit sie’s merkt.
    » Ich will nur nicht, daß du dir Hoffnungen machst. Denn ich schätze dich sehr, aber…«
    » Bleib ruhig, Liebe, Liebe!«, ich halte einfach ihre Hand und gehe weiter, kein Versuch mehr einer Umarmung, ja, sie mag es, was gibt es Köstlicheres als solche Nähe, das leichte, elektrische Strömen über Hand und Hand von Herz zu Herz, ein einzelner ist in der
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