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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition)
Autoren: Petra Morsbach
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mitten auf der Stirn hat es ein Loch, oder ein Mal … als es vor mir steht, erkenne ich: es ist eine Vagina! Mir wird mulmig, das Tier lächelt aber gutgelaunt, und ich lächle zurück. Auf einmal taucht die Mutter auf, noch größer, mindestens von der Statur eines Nilpferds – im Galopp, daß die Erde bebt, nicht angriffslustig, aber von höchster Wachsamkeit, daß dem Kleinen kein Leids geschieht. Ich erwache wie mit einem Hufabdruck auf dem Sonnengeflecht, erschrocken lachend.
    Quälend lange wach gelegen, dann ein von Träumen zerfetzter Halbschlaf. Mein Scheidungsprozeß vor einundzwanzig Jahren. Der Richter schreit mich an, ich versuche mich zu erinnern, warum. Lotte springt auf und wirft einen Kübel Leichengift nach mir. Ich flüchte, sehe eine Gestalt im Nebel, erkenne am mutwilligen, beschwingten Gang meine Kunstmalerin Franziska. Sie dreht sich um und sagt: » Hiermit tausche ich mich aus.« Auf einmal weiß ich wieder, warum der Richter geschrien hat. Er schrie: » Geben Sie schon zu, daß Sie kürzlich Geschlechtsverkehr hatten!« Ich schrie zurück: » Nein!«, was eine Lüge war, aber notwendig: Beischlaf nach dem Einreichen der Scheidung galt als Versöhnung und hätte das Verfahren nichtig gemacht. » Das war unsere Versöhnungsproblematik«, erkläre ich Franziska, die laut lacht, es ist jetzt Sidonie. » Wo warst du?« rufe ich erleichtert, aber sie verschwindet. Ich rase auf der Suche nach ihr im Porsche durchs Tal, über mir eine Brücke, von der sich Sportler an Gummiseilen werfen. Zwei Sportler zerschellen direkt vor mir, Seil zu lang, werden wieder hochgerissen über die Motorhaube, die ganze Frontscheibe übergossen von Blut. Ich drücke aufs Gaspedal, Panik, Scheibenwischer im Platzregenmodus, eine ockerfarbene Natursteinmauer rast auf mich zu, nackt, ich schieße hoch, wach, die nackte Natursteinwand unserer Scheune ohne die Fahrräder, jetzt wirklich wach, die beiden Fahrräder im Vorraum, die sozusagen allen gehören, aber selten benutzt werden, sie waren nicht da. Gestern abend. Ich hatte offenbar bemerkt, daß sie nicht da waren, aber nichts gefolgert, jetzt aus dem Schlaf die Erkenntnis: Sidonie ist ausgefahren. Nicht allein. Mit irgendwem.
    Kein Schlaf mehr möglich, Angst. Morgens um sieben ins Freie, durch die nasse Wiese ums Haus, niemand da, acht Uhr niemand da, unruhig gefrühstückt, zum Edeka Einkaufen, und dort treffe ich sie mit einer Tüte voller Brötchen. Ich laufe auf sie zu, sie prallt zurück.
    » Du warst mit dem Fahrrad unterwegs?« frage ich atemlos.
    » Nein.«
    » Ach so? Ich sah, bei dir brannte kein Licht, und da dachte ich, du bist bestimmt mit dem Fahrrad fort.«
    » Nein, ich habe gearbeitet. Am Computer geht das ziemlich lang in der Dämmerung.«
    Wir gehen nebeneinander zurück, sie trägt ihre Tüte, ich bin ohne einzukaufen umgekehrt.
    » Ich hatte gehofft, dich noch zu sehen«, sage ich. » Ich wollte von Münster erzählen.«
    » Ach ja, Münster, wie ging’s beim Funk, warst du zufrieden?«
    » Ich habe allerhand erlebt«, sage ich verwirrt, aber ich finde keinen Ansatz – alle Geschichten auf einmal wertlos, mein vorzeitiger Ausstieg aus dem Bus, der Anblick der Telefonzelle, wie ich anrufen wollte – warum habe ich nicht angerufen, habe ich was verspielt? –, die Idee, eine neue Hose zu kaufen, unabwaschbare Tinte –
    » Ich war erfüllt«, sage ich. » Ich wollte dir etwas mitteilen. Deswegen war ich so traurig, daß du ohne mich mit dem Fahrrad weggefahren bist.«
    » Ich bin nicht Fahrrad gefahren.«
    » Ja, stimmt, hattest du gesagt.«
    *
    Sie will mit den Bildenden frühstücken, daher die vielen Brötchen, » Magst du mitkommen?« Ich lehne ab, beleidigt von ihrer Gelassenheit, kehre ruhelos in meine Hütte zurück, merke, daß ich nichts gekauft habe, hole im Edeka Brot und eine Flasche Wodka und beginne zu trinken. Es ist, als merkte ich kurz vor dem Gipfel, daß unter meinen Füßen Geröll sich löst, ich versuche immer noch, das Kreuz zu erreichen, bereits bis zu den Knien im rollenden Gestein, vorwärtslaufend werde ich nach unten gezogen, nichts aufzuhalten, alles mitgerissen, Brocken Kraut Sträucher, unvermeidlich der freie Fall. Ich Idiot, hat sie nicht mal gesagt, launische Männer seien ihr ein Greuel? Aber ich war doch nicht launisch, ich war verzweifelt! Kurzer Hoffnungsblitz, als das Telefon klingelt, aber es ist Christine aus dem Büro: Ein Ehepaar aus Wilhelmshaven, das meinen Radioauftritt gehört habe, wolle mich gern
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