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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition)
Autoren: Petra Morsbach
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Schafstall direkt an meine grenzt, nehme ich an, daß auch die Räume gleich aufgeteilt sind, wir schlafen also gewissermaßen Kopf an Kopf. Die Trennwand zwischen den Wohnungen ist aus Pappe oder Gips – was an diesem Schafstall ein Privileg sein soll, weiß ich wirklich nicht. Als Sayed letzte Woche die Frau dahatte, habe ich alles gehört – ziemlich klägliche Vorstellung übrigens, und ich regte mich auf, weil ich nicht wußte, ob mich das befriedigen oder erniedrigen sollte, bis mir klarwurde, daß es darauf nicht ankommt, denn, viel schlimmer, er hört mich genauso gut, mein Taumeln, mein Schimpfen, meine Schreie im Traum.
    Sayed trinkt. Nicht laut und heftig, sondern gemächlich; nicht Schnaps, sondern Wein. Wahrscheinlich kifft er auch. Ich erkenne es am Glitzern in seinen Augen und am Grinsen. Er verbirgt es nicht, im Gegenteil, er präsentiert es wie eine Narrenkappe. Dabei ist er tüchtiger, als er tut. Er arbeitet in drei Sprachen für Exilzeitschriften in fünf Ländern und schreibt massenhaft Briefe, die er immerzu zur Post trägt. Jetzt sehe ich ihn in zerfallenden Sandalen auf den Schafstall zulatschen. Pferdeschwanz, Mäusebart, zerrissene Hosen, die Schulter gebogen unter einer schweren Umhängetasche – hoffentlich klopft er nicht. Ich habe versprochen, sein Buch zu lesen, und es nicht getan, es deprimiert mich. Jetzt merke ich: Alles, was ich statt dessen getan habe, war noch deprimierender. Wenn er mich schont und vorbeigeht, werde ich lesen.
    Er klopft.
    Ich humple auf dem Gipsfuß zur Tür in der Hoffnung, er wird die Geduld verlieren. Er verliert sie nicht. Ich öffne.
    Er greift in seine Ledertasche, zieht grinsend und hüstelnd einen Apfel hervor, reicht ihn mir und geht.
    Gott sei Dank ist sein Buch dünn.
    *
    Es ist ein autobiographischer Text. Sayed schlurft, wie ihm die Sandalen von den Füßen fallen, und so schreibt er auch: ausdrucksvoll nachlässig, insgeheim pathetisch.
    Sayed stammt aus dem Libanon und floh Anfang der Achtziger vor dem Krieg nach Deutschland. Schon früher war er vor seinem Vater geflohen, einem kurdischen Großgrundbesitzer, der im Dorf ein eisernes Regiment führte. Sayed hat einundzwanzig Geschwister. Seine Mutter war von vier Frauen die zweitjüngste, und die kinderreichste: Sie allein hatte zehn Kinder. Dabei war sie halb geächtet, denn nach der Heirat verkrachte sich ihr Clan mit dem ihres Mannes, und der Mann betrachtete seine eigenen Kinder von ihr als Feinde. Sayed mußte ständig arbeiten, Geschwister hüten, das Vieh füttern. Er wurde geschlagen. Der Alte schlug auch seine Frauen und seine anderen Kinder, aber Sayed am häufigsten, da er seinen Widerstand spürte.
    Sayed wollte fort, seit er denken kann. Er durfte aufs Gymnasium, weil er begabt war. Ein Gymnasium gab es in der Stadt, siebzig Kilometer weiter. Sayed packte sein Bündel mit der Gewißheit, nie mehr zurückzukehren. Beim Abschied sah er die Mutter weinen und meinte zu wissen, daß sie es wußte und ihn beneidete. Er prägte sich das Bild ein, die verschorften Wangen, die runzligen Hände, den wieder einmal dicken Bauch. Manchmal sitzt mir der Tod auf der Brust, dann sehe ich deine Trauer, die mir das Glück befiehlt.
    Neulich bekam er mit der Post eine Tonbandkassette, besprochen vom Vater, der kaum schreiben kann. Der Patriarch sagte, nachts fühle er im Herzen die Liebe zu seinem Sohn pochen. Billige Reue, schreibt Sayed, ein Taschenspielertrick! Ihm schenkt er Erlösung, mir stiehlt er das Mark.
    Damals auf dem Dorf bekam keiner ein Zeichen der Liebe. Die einzelnen Frauen schliefen mit all ihren Kindern in jeweils einem Zimmer. Sayed weiß nicht, wie das Eheleben geregelt war. Vielleicht schlich sich die Frau, die jeweils dran war, nachts heimlich aus dem Zimmer? Vielleicht merkte man, wer fällig war, daran, welche sich abends schminkte? Manchmal stritten die Frauen darum. Selten kam das Thema zur Sprache. Einmal erwähnte die zweite Frau, daß sie erschrak, als ihrem Mann während des Hochzeitsaktes plötzlich Speichel aus dem Mund lief.
    *
    Sind unsere Väter schuld, daß wir so geworden sind? Oder sind es die Mütter, die die Väter gewähren ließen? Ich erinnere mich an die Wutanfälle meines Vaters – ich weiß bis heute nicht, ob sie echt oder gespielt waren. Ständig nörgelte er am Essen, im günstigsten Fall spottete er, im ungünstigsten warf er mit Geschirr. Meine Mutter wußte von vornherein, daß sie es ihm nicht recht machen konnte, und versuchte es doch jeden Tag.
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