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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition)
Autoren: Petra Morsbach
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und Dreivierteltakt gesetzt, alles ein Hohn, aber bezahlt, und nun hat mir auch Sander einen Anschlußauftrag gegeben: Nachdichtung eines vergessenen Gedichtzyklus von Leonid Karatschinzew. Die Sendung war heute in der Post, ich überfliege das russische Bändchen und die losen Blätter mit der Interlinearübersetzung. Sehr anspruchsvolles Russisch; da aber der Übersetzer jede Zeile mit einem Kommentar zu Versmaß und Klangwerten versehen hat, bin ich im Bilde. Ein 600-versiges Gedicht Haus der Schöpfer (wörtlich: Schöpferisches Haus ), vierhebig, gereimt – das ist im Deutschen kaum zu machen. Ich notiere ein paar Einfälle und prüfe den Ton. Teilweise nicht ohne Reiz, schlank und keusch wie das Beste von Karatschinzew, teilweise aber auch ziemlich verquast. Neben dem Brunnen der Datsche höre ich das Weinen der Witwe vom anderen Ende des Dorfs – hoffentlich mache ich mich damit nicht lächerlich. Probeweise übersetze ich die ersten zwei Seiten, flüssig, direkt in die Maschine … Wird wohl gehen. Morgen werde ich um den Vorschuß bitten.
    Die Tage sind brütend heiß, die Abende tropisch. In der Dämmerung kommen die Kollegen vor meinem Haus zusammen, sitzen auf meinen Gartenstühlen, vergießen Wein auf meinem Tisch und schnattern – da ich’s nicht abstellen kann, setze ich mich dazu, wie immer steht billiger Dornfelder auf dem Tisch, Brot, Schafskäse, Tomaten – es stellt sich heraus, daß Sidonies Ernährungspraxis sich von unserer wenig unterscheidet. Dabei ist, oder war, die Frau wirklich Zahnarztgattin. Mir gefällt, daß es mit dem Zahnarzt aus ist, doch Robert wirkt enttäuscht. » Eine Zahnarztgattin, das wär’s gewesen!«
    » Wieso?«
    » Als Geliebte!«
    » Und wieso Zahnarztgattin?«
    » Na, dann hab ich keine Verantwortung! Den soliden Bereich würde der Zahnarzt abdecken, den romantischen Teil ich.«
    Sidonie lacht perplex.
    » Den romantischen Teil?« frage ich scharf. Welch dümmliche Formulierung für einen Literaten. Und welch eine Idiotie für einen Mann. Wie kann man so was laut sagen? Wäre ich nicht so ein Wrack, ich würde es besser machen. Nun sitze ich ohnmächtig dabei, halb besorgt, weil Robert wirklich interessiert scheint, halb erleichtert, weil er sich um Kopf und Kragen quasselt.
    » Was ist aus dem Zahnarzt geworden?« fragt er.
    » Er hat mich verlassen«, sagt Sidonie errötend, » vor drei Jahren.«
    Vor drei? Wieso errötet sie dann?
    » Wer kam danach?« fragt Robert.
    » Mein Roman!«
    Sie hat drei Jahre lang an einem Roman geschrieben! Tatsächlich ihr Erstlingswerk. Nie hatte sie es sich zugetraut. Nach der Trennung aber habe sie » Valenzen frei gehabt«. Heraus kam ein – dramatischer Roman. Man möchte es nicht glauben. Was ist ein dramatischer Roman?
    Hat der Zahnarzt den Roman finanziert? Leider fragt Robert das nicht. » Mich hat auch meine Frau verlassen«, erzählt er, » vor fünf Jahren! Kurz nachdem die Mauer gefallen war. Da bin ich fort aus Dresden, das Kind war alt genug, um allein Abitur zu machen, und ein Schulfreund, der in den Achtzigern rübergemacht war, nahm mich auf. Mit fünftausend Mark habe ich immerhin fünf Jahre durchgehalten, auf einem Speicher in Westberlin. Das Zimmer hatte sechs Quadratmeter, aber ein großes Fenster mit einem Erker, auf dessen morschen Holzboden eine Blechplatte genagelt war – durch die Ritzen sah man vier Stockwerke tiefer die Straße. Im Sommer habe ich mal fünfundvierzig Grad gemessen, allerdings bei nur zehn Prozent Luftfeuchtigkeit. So hielt man’s aus.«
    Wieder diese Angeberei mit Zahlen. Und Sidonie läßt sich beeindrucken! » Da haben Sie gearbeitet?« fragt sie ungläubig.
    » Wie besessen! Ich saß nackt an meiner Schreibmaschine und schrieb fünfzehnmal den gleichen Roman. Fünfzehnmal, weil … ich den richtigen Ton nicht fand. Erst hier habe ich zufällig entdeckt, daß Version acht stimmte, nur Anfangs- und Schlußsätze waren falsch gewesen.«
    Dödel. Dilettant.
    » Wer druckt es?« frage ich.
    » Ach, darauf kommt’s nicht an, oder?«
    » Oder? Auf was kommt es sonst an?«
    » Es ist wie ein Rausch, von dem ich noch nicht weiß, ob er ein Traum oder Alptraum wird. Einerseits: die Freiheit. Andererseits: Man sinkt ins Nichts. Der ganze Westen wirkt auf mich absurd. Ich konnte monatelang nicht schlafen, weil ich so viel lachen mußte. Der Freund, bei dem ich wohnte, von Beruf Psychiater, diagnostizierte eine Manie …«
    Sieh mal an. Der schmächtige Mann mit dem schütteren Haar, der
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