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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition)
Autoren: Petra Morsbach
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einer dreißigjährigen Katastrophenehe auffangen, an der ich mich unschuldig fühlte, ich wollte Unabhängigkeit und Sensationen und Lust. Ich erklärte also, daß es Menschen gebe, die für die Freiheit geschaffen seien, und andere, und daß Mutter meiner Meinung nach zu den letzteren gehöre. Es war leicht, ihr das einzureden. Sie war demoralisiert.

KÄMPFE
    Die Macht, die ich gewinne –
    die habe ich zwar inne.
    Sie aber übt mich aus …
    Manfred Streubel
    Während ich übersetze, kommt ein Einschreibebrief. Absender: Der Polizeipräsident. Ein Stromschlag ins Gehirn, Flimmern vor den Augen. Ich entziffere mühsam: Urteil nach §§ , Strafbefehl, Unfall vom … April, Trunkenheit, Gefährdung des Straßenverkehrs, Punkte in Flensburg. Geldstrafe: 30 Tagessätze à 50,– Mark, die ich nicht habe, oder 30 Tage Gefängnis.
    Ich falte den Brief zusammen, stecke ihn in die Tasche und humple ohne nachzudenken rüber zum Edeka. Ich kaufe vier Flaschen Dornfelder Rotwein und eine Flasche Wodka, eine Stange Zigaretten, Käse, Brot. Als ich zurückkehre, sitzt Sidonie vor meinem Haus. Sie blickt von einem Buch auf und fragt: » Wie siehst du denn aus?«
    » Ich muß ins Gefängnis!«
    Diese Sidonie hat tatsächlich erst ein einziges Buch geschrieben. Über die erste Seite bin ich nicht hinausgekommen, so lapidar und ungelenk ist der Stil, und nun sitzt diese Dilettantin ganz selbstverständlich auf meiner Plastesitzgruppe und fühlt sich als Künstlerin. Ja, ich weiß, es ist nicht meine Sitzgruppe, sie wurde nur vor meinem Schafstall aufgestellt, weil es dort schattig ist unter der Linde, trotzdem ist der Ort geographisch gesehen meine Rasenterrasse, und es belästigt mich, daß sich dauernd irgendwelche Künstlerdarsteller dort niederlassen, um das Künstlerleben zu genießen. Sidonie sitzt also mit ihrem breiten Gesäß auf einem weißen Stühlchen, dessen Lehne sich nach hinten biegt, und hat die nackten Füße auf ein anderes Stühlchen gelegt, keine grazilen Füße, aber immerhin gesunde braune junge Frauenfüße, um mich zu verwirren. Und sie meint, ich sei ihr Auskunft über mein Aussehen schuldig. Tja, so weit ist es gekommen: Nationalpreisträger Heinrich Steiger im Auffanglager für Flüchtlinge und Anfänger, ein Kostgänger des Engels Gabriel, dessen Ostherz für die Hilflosen schlägt und der nicht begreift, wie tief schon seine Güte mich erniedrigt.
    » Wieso mußt du denn ins Gefängnis?« Sidonie fragt immer in einem entwaffnend direkten Ton, von dem ich nicht weiß, ob er Unschuld oder Gerissenheit bedeutet. Ich glaube eigentlich, sie ist ein Luder. Jetzt zum Beispiel, während ich auf ihre Füße starre, nimmt sie sorgfältig diese Füße einen nach dem anderen vom Stuhl und macht eine Bewegung, als lade sie mich ein, mich zu ihr zu setzen.
    Ich setze mich. » Ein blöder Autounfall … Strafbefehl … kann meine Tagessätze nicht bezahlen«, erkläre ich erschüttert.
    » Gibt es keinen Ausweg?«
    » Für mich nicht.«
    » Es gibt immer einen Ausweg. Warum verkaufst du nicht den Porsche?«
    » Den nimmt doch keiner!«
    » Wieso nicht? Du hast ihn doch auch genommen?«
    Mehr noch als die Ironie reizt mich die selbstgefällige Vernunft. Wieder stehe ich als begriffsstutziger Ossi da und fühle mich auch augenblicklich so. Es ist unerträglich.
    » Du denkst wohl, ich wäre mit dem letzten Regen vom Himmel gefallen?«
    Sidonie lacht los. Sie hat ein unverschämt fröhliches lautes Lachen, von dem man nie genau weiß, wovon es ausgelöst wurde; wahrscheinlich weiß sie es, wenn sie zu Ende gelacht hat, selbst nicht mehr. Ich nehme meine Tüten und gehe ins Haus.
    *
    Erstens weiß ich nicht, wie man ein Auto verkauft. Zweitens hänge ich an dem Wagen: Wenn ich schon keine Frau habe, brauche ich wenigstens ein Auto. Drittens hätte ich diesem Porsche beinah die letzte Chance meines Lebens verdankt, plötzlich verhilft es zu einer allerletzten? Als ich nämlich im April ins Erzgebirge fuhr, hielt mich unverhofft eine Gutsbesitzerin auf, eine Wessi-Adelige, die sich den Familienbesitz hatte rückübertragen lassen und seit zwei Monaten auf dem verfallenen Gut lebte, ohne mit einer verwandten Seele zu reden. Als sie den silbernen Porsche mit der Speyerer Nummer an der Tankstelle sah, wähnte sie vielleicht in mir den Standesgenossen, zog mich in eine Konversation und sprach mehrfach die Einladung zum Tee aus. Leider hatte ich es eilig, ich wollte zu meinem ehemaligen Bauernhof hinter den Wäldern.
    Im
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