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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition)
Autoren: Petra Morsbach
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Beim Kochen war sie ein Nervenbündel.
    Sie ließ es an den Kindern aus, das heißt an mir, denn meine viel ältere Schwester arbeitete bald irgendwo als Sekretärin und war kaum mehr zu Haus. Jemand sagte mir, daß Kinder schlechte Bedingungen normal finden, solange sie nichts anderes kennen. Auf mich trifft das nicht zu, ich spürte früh, daß etwas nicht stimmte. Dabei habe ich weniger unter den armseligen Verhältnissen gelitten als unter der Heuchelei, der Angeberei des Vaters, der mütterlichen Bigotterie. Die Erwachsenen schienen einen heimlichen Genuß aus diesen verdrehten Spielen zu ziehen. Bald suchte auch ich meinen kleinen parasitären Genuß. In der engen Wohnung erwachte ich nachts vom rhythmischen Stöhnen des Vaters. Es war grotesk und erregend zugleich. Am Morgen suchte ich gierig nach Spuren des Widerwillens auf Mutters Gesicht.
    Vater ging fremd. Einmal, da war ich vielleicht sieben, nahm er mich auf dem Fahrrad irgendwohin mit, ich erinnere mich an Feldwege, Sonne und Mais. Bei einer Scheune stiegen wir ab. Eine tschechische Magd kam uns entgegen, die mir als Eva vorgestellt wurde – » Aber erzähl der Mama nicht, daß wir sie getroffen haben, die ist sonst traurig.« Vater und Eva redeten miteinander Tschechisch, dann gingen sie in die Scheune. Ich saß im Staub und spielte. Schließlich kam Vater wieder heraus, lächelnd.
    Im dritten Kriegsjahr wurde er eingezogen, allerdings nicht an die Front, sondern als Verwalter eines Lazaretts nach Mähren. Wir besuchten ihn in unserem Protektorat, das mir wie Ausland vorkam: Kreuze, bunte Kirchen voller Gipsschnörkel, gedrechselte Säulen, schwarzgekleidete Frauen. Man verbot uns zu streunen, von Partisanen war die Rede. Das Lazarett war in einem alten Kloster eingerichtet. Mönche liefen herum. Im Refektorium lagen Schwerverwundete – Armlose, Beinlose, Eiternde, Blutende, Fiebernde und Schreiende. Man mußte zwischen ihnen hindurch zur Treppe ins Obergeschoß, das Vater bewohnte. Vater war aufgeräumt und zynisch. Mutter warf ihm vor, er schlafe mit den Krankenschwestern; es gab Tränen. Übrigens hat wohl auch Mutter in Aue einen Liebhaber gehabt. Er kam, wenn ich schlief. Ich wachte auf und hörte eine fremde Männerstimme.
    Meine Kindheit unterschied sich also von Sayeds weniger, als es scheint. Trotzdem meine ich, daß er es leichter gehabt hat, denn er ließ die fatalen Verhältnisse für immer hinter sich. Ich indessen wurde in die Pflicht genommen und habe weiter versagt.
    Das erste Mal in Leipzig. Ich studierte bereits am Literaturinstitut und bewohnte ein Zimmer in der Altbauwohnung einer Bürgerwitwe, in Untermiete nur, aber für mich allein; zum ersten Mal fühlte ich mich frei. Natürlich versuchte ich Frauen hereinzulocken, und einmal glückte es, ich kam sogar ans Ziel. Als ich später erwachte, störte mich die fremde Frau. Ich setzte mich auf die Bettkante, drehte das Radio auf und rauchte. Sie rückte nach, ich fühlte mich bedrängt und griff reflexhaft auf die kalten Sprüche meines Vaters zurück, schließlich nannte mich die Frau unausstehlich und ging. Am Morgen fragte ich mich voller Unruhe, was schiefgelaufen war. Ich erinnerte mich an die Dringlichkeit, die Fremdheit, die Angst zu versagen, den Streß, den Triumph, und das alles erregte mich derart, daß ich nicht wußte, wie ich über den Tag kommen sollte ohne die Frau, die ich vergrault hatte; ich rannte durchs Zimmer, um mich nicht an mir zu vergreifen. Da hörte ich schüchternes Klingeln, ganz anders als das der üblichen Besucher der Witwe. Ich stürmte durch den Flur und riß die Tür auf, bereit, über jede Frau herzufallen. Im muffigen Treppenhaus stand kläglich und ergeben meine Mutter.
    Natürlich bat ich sie herein. In meiner Verwirrung bot ich ihr eine Zigarette an, aber sie sank weinend aufs Sofa und erklärte, daß sie es mit Vater nicht mehr aushalte. Sie musterte fast hoffnungsvoll mein häusliches Chaos, das zerwühlte Bett, das schmutzige Geschirr, die Staubmäuse unterm Tisch, und bot an, Ordnung zu machen. Dann fragte sie stotternd vor Verlegenheit, ob sie nicht vorübergehend – nur ein paar Tage – bei mir unterkommen könne. Sie würde auf dem Boden schlafen. Sie würde überhaupt nicht stören, sondern sofort was Neues suchen. Aber für heute wisse sie einfach nicht wohin.
    Ich lehnte ab. Wie sollte das gehen, nur ein paar Tage? Ich kannte die Wohnungsnot in Leipzig, und ich kannte die Passivität meiner Mutter. Ich wollte nicht den Jammer
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