Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren
Autoren: Samuel R Delany
Vom Netzwerk:
»Was macht ihr?«
    Der Mexikaner zog die Stiefel näher an den Randstein. Die Frau legte die andere Hand auf die Schulter des Stummen.
    Ich beobachtete ihre überraschten Bewegungen. Die Übersetzung durch ihre Hände auf dem Arm des Taubblinden vermittelte ihm die einzige Information über mich. Sein Gesicht zuckte nach vorn; die Hand schloß sich um die der Frau - mein Wissen von seinem Wissen. Dachte: Man braucht nur wenige Informationen . . . Obwohl ich mich in Licht eingehüllt habe und ihre Augen mit Plastik überdeckt sind, ist vielleicht seine Kenntnis über mich in dieser überdeterminierten Matrix, übersetzt und wieder übersetzt, vollständiger.
    Ich hatte vor ihren roten Augen Angst!
    Was wird aus meinem blauen Tier durch die roten Kappen?
    Leute riefen.
    Ich rief lauter: »Was ist hier los? Was passiert hier? Wißt ihr es?« und endete mit einem Husten wegen des Rauchs.
    Die ziegelhaarige Negroide schüttelte den Kopf, eine Hand vor den Mund gelegt, zögerte, ob sie mich beruhigen sollte, sich die Lippen schloß, oder mich wegstoßen sollte. »Jemand hat eine Bombe in . . . Stimmt's? Das hat man doch erzählt. Jemand hat eine -«
    »Nein!« sagte der Mexikaner laut. Er zog an der Schulter des Blinden. »Da war nichts . . . nichts . . .« Er brachte den Taubblinden auf die Füße.
    Ich drehte mich um und sah, wie Männer und Frauen auf mich zustolperten, auf den bläulichen Nebel zu. Und hinter dem Nebel flackerte etwas. Ich sprang auf die Straße.
    »Es war keine Bombe!« Der Mann oder die Frau hinter mir schrie. »Sie haben ihn erschossen! Oben vom Dach. Ein wahnsinniger Weißer! Hat ihn mitten auf der Straße erschossen! Oh, mein Gott -«
    Etwas Warmes rann an meinem Knöchel entlang.
    Wasser lief zwischen den buckligen Pflastersteinen hindurch, so hell wie Quecksilber unter den Entladungen des zusammenstürzenden dunklen Himmels. Die Straße war ein Netz aus Silber, und ich rannte darüber, in eine Frau hinein, die ich an der Schulter traf, und die herumwirbelte - schreiend -, ihr zerkratztes Gesicht hinter mir her drehte; sprang fast auf einen anderen Mann, stieß ihn jedoch mit beiden Händen beiseite. Eine plötzliche Hitzewelle verbrannte meine Augendeckel. Lider verkrampften sich. Ich gelangte hindurch und durch mehr Staub, verfing mich mit dem Stiefelzehen an etwas und fiel fast um. Ich hustete und stolperte, den Handrücken über den Mund gelegt.
    Über meinen Nacken lief etwas so Kaltes, daß ich es für Wasser hielt. Aber es war nur Luft. Mit tränenden Augen, verkrampfter Kehle, die Staub aushustete und auswürgte, stolperte ich noch ein paar Schritte weiter, bis mich jemand an der Schulter griff, und ich starrte wieder in ein schwarzes Gesicht.
    »Es ist Kid!« rief Drachenlady jemandem zu und legte den Arm um mich, damit ich nicht umfiel.
    Ein paar Schritte hinter ihr drehte sich Glas nach mir um. »Huh?«
    Hinter ihm, gegen einen Vorhang sich langsam zusammenballender Wolken, brach die Fassade eines zwanzig Stockwerk hohen Gebäudes langsam von dem Stahlgerüst ab. Aber das mußte fünf Blocks weiter weg gewesen sein.
    »Jesus Christus -!« sagte D-t, sah dann wieder mich an. »Kid, bist du -?« Und dann erreichte uns das Geräusch, erfüllte den Raum zwischen uns, so wie Lava alles ausfüllt.
    Als das Dröhnen verebbte, hörte ich hinter mir Leute rufen: Drei verschiedene Stimmen brüllten etwa fünfzig anderen, die sich nicht darum kümmerten, Anweisungen zu.
    »Gottverdammt«, sagte D-t. »Kommt endlich!«
    Jemand hatte Schlangen, vermutlich von Fahrstuhlkabeln über den Gehsteig gelegt. Es war glitschig, so daß wir nach den ersten paar Schritten auf die Straße überwechselten.
    Und das Rufen hinter uns hatte sich zu einer einzigen, fernen, eindringlichen Stimme zusammengezogen - »Wartet. Verdammt! Hört ihr mich, ihr Arschlöcher? Wartet auf mich!« - Es kam näher - »Wartet doch, verdammt noch mal. Wartet doch!«
    Ich sah mich um.
    Feuerball rannte mit pumpenden Fäusten, von der Hüfte ab eingeknickt voll auf Glas zu, der ihn am Arm auffing. Feuerball sackte weinend und keuchend zusammen: »Wartet doch auf mich! Ihr verdammten Nigger -« Er holte so laut Luft, als ob er sich erbräche. »- Warum habt ihr nicht gewartet?« Er war barfuß, trug kein Hemd; als er sich nach vorn beugte, schwangen ein halbes Dutzend Ketten über seine Brust; er keuchte und hielt sich den Bauch. Beim nächsten Blitz sah ich, daß eine Wunde vom Kinn über das Schulterblatt verlief, als sei beim
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher