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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin
Autoren: J Taschler
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können. T-Shirt und Jeans klebten an ihrer Haut und Schweißtropfen bahnten sich einen stillen Weg von der Achsel hinunter zur Hüfte. Am liebsten hätte sie ihre Turnschuhe ausgezogen, doch hatte sie Angst, Füße und Schuhe würden – getrennt voneinander – einen unangenehmen Geruch verströmen.
    Diese Angst hatte sie ständig, dass sie schlecht roch, dass nicht nur Mund, Füße und Intimbereich, sondern selbst ihre Haut einen stark muffigen Geruch an sich hatte und sich die Leute vor ihr ekelten. Es war wie eine Neurose, die sie vor allem in den Hörsälen überfiel und die ihr Albträume bescherte: Sie saß in einer Vorlesung und alle anderen Studenten, die um sie herumsaßen, hielten sich die Nase zu, sahen mit verzerrtem Gesicht verstohlen zu ihr, bis sie schließlich, einer nach dem anderen, zur Tür hinausgingen. Woher diese Neurose kam, wusste sie sehr gut, sie befürchtete, den Gestank der kleinen und engen Sozialwohnung, in der sie aufgewachsen war, nicht losgeworden zu sein.
    Zehn Minuten nachdem der Professor zu lesen begonnen hatte – er las tatsächlich jedes Wort von seinem sorgfältig vorbereiteten Skriptum herunter und sprach nicht einen einzigen Satz frei –, öffnete sich die Tür des Hörsaals und ein großer, schlanker Student mit dunklen Haaren huschte herein. Er fiel Mathilda sofort auf und sie konnte nicht anders, als ihn anzustarren; männliche Studenten gab es auf der Germanistik nicht viele und diese wenigen Exemplare sahen meist, zumindest für ihren Geschmack, schräg aus, sie liefen schwarz gekleidet, bärtig, mit langen Haaren und bodenlangen Mänteln herum. Dieser hier sah herrlich normal aus, er trug ein grünes T-Shirt ohne jede Aufschrift, eine Jeans, weiße Turnschuhe und hatte weder einen Rucksack noch eine Tasche bei sich.
    Er zwängte sich in ihre Reihe, ließ einen Platz zwischen sich und ihr frei und setzte sich plumpsend nieder, wobei er sie angrinste und sie seine Wangengrübchen anstarrte. Als der Professor nach einer Weile über Schnitzlers Reigen vorlas, beugte er sich zu ihr und flüsterte: »Könntest du mir ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber leihen?«
    »Aber klar«, murmelte sie und begann in ihrer Tasche zu kramen, der Professor unterbrach seine Lesung und sah zu ihr herauf, Mathilda spürte die Hitze in ihrem Gesicht. Sie reichte dem Studenten beides, er nahm es umständlich an sich und begann mitzuschreiben, vorher hatte er nur gelauscht und mit den Fingern auf das Pult geklopft, was sie nervös gemacht hatte. Obwohl sie wusste, dass man ab Anfang Juni das Skriptum des Professors im Sekretariat würde kaufen können, schrieb sie eifrig mit.
    Am Ende der Vorlesung gab er ihr den Stift mit einem strahlenden Dankeschön zurück und fragte sie, ob sie Lust hätte, mit ihm in der Mensa zu essen, und sie sagte ohne zu zögern Ja, hatte im selben Moment Angst, zu schnell Ja gesagt zu haben. Ein paar Minuten später saßen sie einander gegenüber in dem riesigen, kahlen Raum, fades Geschnetzeltes essend, lebhaft diskutierend. Er erklärte enthusiastisch, Schnitzlers Liebesreigen wäre genial konstruiert und für ihn das erste Drama der Moderne, da habe er mitschreiben müssen, die anderen Schriftsteller und ihre Werke hätten ihn nicht interessiert. Mathilda starrte ihn an, strich sich eine widerspenstige Strähne mehrmals aus dem Gesicht und hoffte, dass sie ihm gefiel.
    »Der Inhalt ist eigentlich so einfach, nicht wahr? In zehn Szenen treffen paarweise fünf Männer und fünf Frauen aufeinander, der Soldat und die Dirne, der Soldat und das Stubenmädchen, das Stubenmädchen und der junge Herr, und so weiter, das weißt du sicher besser als ich. Allein diese Struktur ist spitze! Einer der beiden drängt jeweils den anderen zum Geschlechtsverkehr und danach hat man es eilig wieder auseinanderzugehen. Aber was alles so fein und leicht in den Dialogen mitschwingt, finde ich genial, man kann die Charaktere so gut erkennen, und jeder einzelne Dialog ist für sich ein Drama!«
    Er hieß Xaver Sand, stammte aus einem kleinen Ort in Oberösterreich, drei Autostunden von Wien entfernt, und war wie sie zweiundzwanzig Jahre alt, sogar im selben Monat waren sie geboren worden: März 1958. Er studierte Germanistik und Philosophie, war aber nicht oft auf der Universität anzutreffen, weil er von den Vorlesungen und Seminaren nichts hielt, mit einem anderen Studenten wohnte er in einer Zweizimmerwohnung, viel mehr erfuhr Mathilda nicht bei diesem ersten Essen.
    Während
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