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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst
Autoren: Michael Holzach
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tritt es erst ein paarmal verlegen auf der Stelle, dann platzen Flügel aus seinem Panzerrücken, und schon schwirrt es davon.
    Eigentlich wollte ich heute noch ein Stück Strecke machen, aber einmal im Gras, mit aufgeschnürten Schuhen, ist mir jede Lust am Weiterlaufen vergangen. Zu schwer sind jetzt die Glieder, zu schön das Apfelblütendach. Auch Feldmann hat sich endlich müde getobt. Mit offenem Maul und heraushängender Zunge liegt er hechelnd neben mir. Nichts geht mehr bei uns. Nur mit Mühe öffne ich meinen Rucksack und rolle den Schlafsack aus. Feuer zu machen für einen Tee ist mir schon zu anstrengend; auch fürchte ich, daß uns die Leute aus der Nachbarschaft entdecken könnten. Was würden sie mich fragen, was sollte ich ihnen antworten? Bloß keine Menschen jetzt.
    Gestern noch hatte ich die Wohnung voller Leute, alles gute Freunde, die mit mir zum Abschied festlich essen sollten. Basti kam eigens aus dem Ruhrgebiet angereist, Freda trug ihr buntes Beduinenkleid, Martin und Janni schenkten mir eine Topfpflanze. Wir saßen auf dem Fußboden um ein mit Blumen und Kerzen geschmücktes Bettlaken, aßen Schafsfleisch mit makrobiotischem Gemüse und tranken trockenen Wein. Alle verstanden sich gut miteinander, nur ich fühlte mich im Stich gelassen. Im Bad konnte ich trotz meines Selbstmitleids nicht mal richtig heulen, aber als gegen Morgen endlich alle gegangen waren, bin ich quer über das Laken gelaufen und habe das Geschirr und die Salatschüssel gegen die Wand getreten.
    Nach der Randale war der Rucksack schnell gepackt. Nur das Nötigste sollte mit: Schlafsack, Kochgeschirr, Feldflasche, Regencape, Kleidung zum Wechseln plus kurze Hose, Taschenmesser, Tabak, Pfeife, Streichhölzer, Zahnbürste, Tagebuch, Kamera mit zehn Filmen, Heftpflaster für die Blasen, Verpflegung für ein paar Tage und natürlich der selbstgeschnitzte Wanderstock aus Korsika. So unbelastet wie nur möglich wollte ich sein, ohne Uhr und damit ohne Zeit, ohne Karte und Kompaß und damit ohne Orientierung, ohne Bücher und damit ohne Leben aus anderer Hand. Das Wichtigste aber, was ich zu Hause ließ, war das, was man gemeinhin zum Leben braucht: das liebe Geld, ohne das bisher nichts ging. Ohne Geld durch eine Welt zu gehen, in der sich alles um Mark und Pfennig dreht, hatte etwas Utopisches für mich, erschien mir wie ein Gang in absolutes Neuland — ein Neuland, in dem es jedoch mir ganz vertraute Orte gab: München, Heppenheim, Bochum, Bergisch-Gladbach, Heidelberg, Berlin... Am nächsten war Holzminden an der Weser. Dort hatte ich entscheidende elf Jahre im Internat verbracht und mit meiner kurzen Hose, die ich selbst im Winter trug, Eindruck geschunden. Aber auch Holzminden erscheint mir hier, unter dem weißen Blütendach, so endlos fern wie meine Hamburger Wohnung, kaum dreißig Kilometer hinter mir, in der die Salatreste noch an den Wänden kleben.
    Für Feldmann, der sein Leben bisher hinter Gittern verbracht hat, muß der Kontrast noch größer sein. Er hat heute erfahren, wozu ihm Beine gewachsen sind, wie ein Gänseblümchen riecht und daß die Kaninchenköttel schmecken. Satt allerdings kann auch ein Asylhund davon kaum werden, das zeigt sich beim ersten gemeinsamen Abendbrot. Fast den halben Brotlaib verschlingt er mir wie nichts, dazu ein gutes Stück meiner Wurst, ohne daß die Gier, mit der er mich beim Essen beobachtet, aus seinen Augen weicht. Ich mache mir ernste Sorgen, wie ich ihn mit durchbringen soll auf meiner Wanderschaft, ohne einen grünen Heller im Sack. Hunger leiden zu müssen, darauf bin ich vorbereitet, damit will ich fertig werden, aber meinem Hund, dessen Rippen ich schon im Zwinger zählen konnte, werde ich allzu viele Schmachttage kaum zumuten können.
    Die letzte Scheibe Brot spüle ich mit einem Schluck Wasser aus der Feldflasche hinunter und krieche in meinen Schlafsack. Feldmann schnüffelt noch ein wenig das Gelände ab, bis auch er seine Schlafstätte an einem nahen Baumstamm gefunden hat. Erst kratzt er dort ein wenig herum, dreht sich ein paarmal unschlüssig im Kreis, um dann, mit einem tiefen Seufzer müder Zufriedenheit, im hohen Gras zu verschwinden.

    Rot und schwerfällig steigt die Sonne hinter den Dächern der Siedlung empor. Die Nacht hat über die Wiese einen weißgrauen Kristallschleier gelegt, der jetzt, in den ersten flachen Sonnenstrahlen, glitzernd vergeht. Da alles noch schläft hinter heruntergelassenen Jalousien, wage ich ein kleines Feuer für einen Morgenschluck
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