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Deutschland 2.0

Titel: Deutschland 2.0
Autoren: Claus Christian Malzahn
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aufgepumpt. Selbst wenn sie dieses mit – unhaltbaren – Steuersenkungsversprechen erkaufte Ergebnis kaum halten wird,
     steht fest: In der politischen Arena der Republik werden sich auf Dauer eher mehr als weniger Parteien tummeln. Der Niedergang
     der Volksparteien, die die Republik jahrzehntelang geprägt haben, ist mit dem Fall der Mauer beschleunigtworden und kommt nun an sein Ende. Wer vor zehn Jahren behauptet hätte, dass sich beispielsweise der CS U-Vorsitzende über eine Meinungsumfrage in Bayern freuen würde, bei der seine Partei mit 41   Prozent abschneidet, wäre wohl für verrückt erklärt worden. Die Vorstellung, dass die SPD in zwanzig Jahren neun Parteivorsitzende
     verbraucht und einer aus dieser Galerie zum Chef einer Linkspartei aufsteigt, wäre ebenfalls ins Reich konservativster Fantasie
     verbannt worden. Von den miserablen Wahlergebnissen der SPD ganz zu schweigen.
    Einen Ausblick auf diese schöne neue Welt liefert der kommende Wahlkampf im Land Berlin. Dort werden 2011 möglicherweise fünf
     Bürgermeisterkandidaten antreten. Und jeder rechnet sich Chancen aus, den Job im Roten Rathaus vis-à-vis vom Alexanderplatz
     auch tatsächlich zu bekommen. Fünf Parteien – die CDU, SPD, FDP, die Grünen und die Linken – werden zwischen fünfzehn und
     23   Prozent gehandelt. In Berlin, das politisch bis Anfang der achtziger Jahre von der SPD beherrscht und seitdem in wechselnden
     Koalitionen (schwarz-gelb, rot-grün, schwarz-rot, rot-rot) regiert wurde, wird man beim nächsten Mal an einer Dreier-Kombination
     kaum vorbeikommen, wie auch – wenngleich sehr knapp – die Wahl in NRW am 9.   Mai 2010 gezeigt hat. Dreier-Kombinationen oder Bündnisse zwischen einer geschrumpften Volkspartei und einem erstarkten Juniorpartner
     funktionieren anders als jene Regierungen, die ein Brandt oder Adenauer anführten. Selbst die schwarz-gelbe Koalition in Berlin
     besitzt heute eine völlig andere Innenarchitektur als die CDU/ CSU/FD P-Koalition von Kohl in den achtziger und neunziger Jahren.
    Damals, auch in der sozialliberalen Ära und bei Rot-Grün, war klar, wer Koch und wer Kellner war. Die Richtlinienkompetenz
     lag im Kanzleramt. Punkt. In einer Koalition wie der heutigen Bundesregierung ist das zwar immer noch so, doch heute müssen
     Ministerpräsidenten und Kanzler neben der Fähigkeit, politischeVorgaben zu liefern, vor allem eines mitbringen: die Fähigkeit zur Mediation. Manchmal sind sie auf Grund der unterschiedlichen,
     zum Teil sich widersprechenden Partikularinteressen eher Moderatoren als Regierungschefs. Die Zeit der großen Zampanos, der
     Basta-Politiker, geht zu Ende, es ist deshalb inzwischen schon fast lächerlich, wenn Kommentatoren in ihren Leitartikeln von
     der Kanzlerin ein »Machtwort« fordern. So funktioniert Politik längst nicht mehr. Einen Interessenausgleich in einer solchen
     Koalition erreicht man nicht mit Basta-Sprüchen oder Machtworten, sondern nur mit Engelsgeduld und politischem und psychologischem
     Geschick. Je mehr Partner in einer Koalition stecken, desto öfter und intensiver wird notgedrungen hinter den Kulissen verhandelt
     werden müssen. Wenn das nicht geschieht, dringen Divergenzen ständig nach außen, bei der neuen Koalition war deshalb sogleich
     von »Fehlstart« die Rede.
    Klare öffentliche Ansagen, wie man sie von Adenauer, Brandt, Schmidt, Kohl oder Schröder gewohnt war, werden deshalb seltener
     werden. Was uns als originelles Regierungsprogramm verkauft wird, ist immer der Kompromiss, nicht die eigentliche Idee. Merkel
     hat mit Horst Seehofer und Guido Westerwelle zwei Partner, deren Agenden kaum unter einen Hut zu bringen sind. Der eine muss
     als Ministerpräsident und Parteichef eines Flächenlandes um den Erhalt der CSU als Volkspartei kämpfen. Den Verlust der absoluten
     Mehrheit hat die CSU noch längst nicht hingenommen, im politischen Anspruch sind die fünfzig Prozent noch immer präsent. Wie
     schwer es ist, diese Marke heutzutage zu erreichen, hat der CS U-Frontkämpfer Markus Söder einmal sehr plastisch illustriert: »Stellen Sie sich mal auf den Marienplatz in München oder sonst eine Fußgängerzone
     in Bayern. Dann sehen Sie sich um. Und dann machen Sie sich bewusst, dass jeder zweite Bürger, der an Ihnen vorbeiläuft, Ihre
     Partei wählen soll.«
    Also versetzen wir uns in die Lage eines Politik-Beraters der CSU.   Der Mann soll die Lage peilen und die Wählerschaft derletzten konservativen Volkspartei Europas
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