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Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Titel: Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation
Autoren: Arno Schmidt
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deutschen Dichter; Straßen werden nach ihm genannt, und Literaturpreise in seinem Namen verteilt ! Damals wurde er zur Emigration gezwungen; und von der Regierung sogar der nichtswürdige Versuch gemacht, seine bürgerliche Existenz zu zerstören, indem man in Fortsetzung des obigen Erlasses verfügte : »auch die Verbreitung seiner Schriften, sei es durch den Buchhandel, durch Leihbibliotheken oder auf sonstige Weise mit allen gesetzlich zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern.« Wobei die Formulierung von den »gesetzlichen Mitteln« besonders perfide wirkt: man hatte sie ja eben erst, und ausdrücklich für diesen speziellen Fall geschaffen! Man : der Bundestag. –
    Damit man nicht etwa von einem »Einzelfall« murmelt, will ich nur ganz kurz weitere Beispiele vom Dank des Vaterlandes an »seine« Künstler beibringen :
    »Ich speise«, schreibt er, »mit den zwei Kammerdienern zusammen, und habe doch die Ehre über den Köchen zu sitzen.« Als er endlich »ganz voll Galle« um seine Entlassung bat, warf ihn ein Edler aus Baierland, Graf Arco, mit einem Fußtritt zur Türe hinaus : »Ob auch dieser Exzeß auf hochfürstlichen Befehl geschah, weiß ich nicht,« berichtet er kindlich=gramvoll; er, der große Maestro : Wolfgang Amadeus Mozart.
    Nicht eher ruhte Herzog Carl Eugen von Württemberg, eine jener überflüssig vorhandenen gekrönten Bestien, bis er den Dichter Schubart, »theils um seiner schlechten und ärgerlichen Aufführung willen, theils um seiner sehr bösen und gotteslästerlichen Schreibart« in seine Gewalt bekam »um durch sichere Verwahrung dieser Person die menschliche Gesellschaft von diesem unwürdigen und ansteckenden Gliede zu reinigen.« Schubart hatte nämlich nicht nur seinen allerhöchsten Hurenbock und Tyrannen von Herrn, sondern auch die Geistlichkeit des Schwabenlandes derb angeprangert. Dafür durfte er dann die Wände seines Gefängnisses auf dem Hohenasperg so beschriften : »Ach, schon 124 Tage hier!«; »Wieder 50«. Zwei Mördern erlaubte der Herzog, regelmäßig ihre Weiber zu sprechen : Schubart nicht! Erst nach weit über 10 Jahren wurde der Arme »um Gotteswillen« freigelassen. / Dies war der gleiche Herzog, der Schiller durch Dekret verbot, je wieder »Komödien« zu schreiben, und ihn dafür anhielt, fleißig Pflaster zu streichen – bis der Dichter sich durch die Flucht dem blödsinnigen Befehl entzog. Seitdem hat man es sich natürlich auch in Württemberg nicht nehmen lassen, vielerlei nach dem großen Manne zu benennen – anstatt sich der betrüblichen Tatsache zu schämen, daß unsere Staaten wohl oft die Wiege, aber selten das Grab großer Männer gewesen sind !
    An die Hitlerzeit brauche ich nicht zu erinnern ; obwohl gerade damals das stets erstrebte – und auch bei uns fast wieder erreichte – Ideal der Einknopfbedienung unserer Literatur vollendet vorhanden war. Lassen Sie mich nur darauf hinweisen, daß sich merkwürdigerweise so manche »unserer« großen lebenden Dichter etwa in der Schweiz aufhalten : Hermann Hesse und Thomas Mann : warum, um Himmels willen, nehmen sie ihren Wohnsitz nicht am Brunnquell heutiger Kultur, in Bonn ?! Alfred Döblin, der größte Prosabildner der Jahre zwischen den Kriegen, kehrte 45 nach Deutschland zurück – und ging bereits ernüchtert wieder in seine Wahlheimat, Paris: »Die (Die Deutschen!) können nur Adenauer wählen.« Vor wenigen Wochen starb Albert Einstein : in Deutschland ? ? Heinrich Mann : wie dankte man ihm ? Ehrenstein, der große Expressionist, »Kimpink«, starb arm und vergessen in New York. Genug. –
    Muß sich angesichts solcher Tatsachen aber nun nicht Jeder nachdenklich fragen : Was stimmt denn hier nicht ? Ist es denn unvermeidlich, daß sich zumindest die gleichzeitige Generation stets vor dem Genius blamiert (und, was weit schwerer für die Menschheit wiegt: ihm das Leben aufs grausamste sauer macht und verbittert!). Manchmal erkennt man ja nach des Dichters Tode, daß sein Werk gut war; aber was hilft es dann dem, der unter dem Hügel liegt, und der wohl noch Trefflicheres hätte leisten können, hätte man den Lebenden ermuntert – ach was ermuntert : hätte man ihm nur Gerechtigkeit widerfahren lassen !
    Ist man sich denn nicht klar darüber, daß es die größte Unverfrorenheit voraussetzt, einem solchen gequälten Unsterblichen dann später das Etikett »unser Dichter« anheften und gerührte Denkmäler setzen zu wollen? : Der würde Euch ganz schön anspucken, meine Herren ! (Siehe
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