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Deshalb heisse ich Starker Baer

Deshalb heisse ich Starker Baer

Titel: Deshalb heisse ich Starker Baer
Autoren: Irina Korschunow
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als ob er auch weinen wollte. Da setzte ich mich neben meinen Vater und weinte.

Er ließ mich eine Weile weinen. Dann sagte er: »Martin, du musst dich zusammennehmen. An dir liegt es, ob wir gerettet werden oder nicht. Denk einmal nach.«
    Auf einmal wusste ich, was er von mir wollte. Ich sollte hinuntersteigen und Hilfe holen. Aber ich hatte Angst, allein zu gehen.
    »Ich weiß den Weg nicht«, jammerte ich, »und die Steine sind glatt. Und es donnert so laut.«

    »Jammere nicht«, sagte mein Vater, »dazu bist du zu groß. Das Gewitter zieht schon ab und der Regen ist auch schwächer geworden. Du musst immer nach den roten Zeichen suchen. Wenn du dich danach richtest, kannst du den Weg nicht verfehlen. Du musst vorsichtig gehen und vorsichtig klettern, wie ich es dir gezeigt habe. Du bist ein tüchtiger Junge, du schaffst es. Die ganze Nacht hierbleiben dürfen wir nicht. Einer von uns muss gehen. Ich kann nicht gehen. Darum musst du es tun, Starker Bär.«
    Ich nickte und ich hatte nicht mehr solche Angst. Ich wollte meinen Vater retten. Er hatte ganz ernst »Starker Bär« gesagt, nicht bloß aus Spott. Wenn ich ihn nicht rettete, würde er erfrieren.
    Es wurde immer kälter und es regnete immer weiter.
    »Die Felsen sind bald zu Ende«, sagte mein Vater, »nach zwanzig Metern kommt schon Gras. Du brauchst nur bis zur Sennhütte zu gehen, der Senn sagt dir, was du weiter tun sollst. Vielleicht ist noch ein anderer Senn in der Nähe und sie holen mich zusammen herunter.«
    »Der Senn ist doch schon so alt«, sagte ich.
    »Trotzdem ist er sicher noch ein guter Bergsteiger«, sagte mein Vater, »und sonst benachrichtigt er die Bergwacht. Die Männer von der Bergwacht haben schon viele verunglückte Bergsteiger gerettet, sie helfen mir bestimmt. Und nun geh, Martin.«
    Er machte die Augen wieder zu. Wahrscheinlich tat ihm sein Bein furchtbar weh.
    Da ging ich los. Ich sah mich nicht um. Ich wollte nicht sehen, wie mein Vaterso allein zwischen den Felsen zurückblieb. Dann hätte ich bestimmt wieder geweint.
    Ich kletterte vorsichtig von einem Felsen zum anderen, wie ich es von meinem Vater gelernt hatte.
    Die Felsen waren sehr glitschig, aber ich fiel nur einmal hin.
    Es regnete und regnete. Ich war nass bis auf die Haut und ich dachte an meine Mutter und was sie wohl sagen würde, wenn sie das wüsste. Wo sie doch immer solche Angst um mich hat! Nur gut, dass sie nicht sah, wie ich allein über die Felsen kletterte.
    Zum Glück konnte ich die Wegzeichen erkennen. Es donnerte und blitzte nicht mehr, das war die Hauptsache.
    Mein Vater hatte recht gehabt, die Felsen hörten bald auf. Vor mir lag der steileHang mit den Grasbüscheln, den uns der Senn gezeigt hatte.

    Ich dachte: »Prima, jetzt kann ich laufen, dann geht es schneller!«
    Aber der Hang war durch den Regen noch viel glatter als die Steine. Weil ich das nicht wusste und einfach drauflosrannte, fing ich an zu rutschen. Ich fiel hin und rutschte den ganzen Hang hinunter wie ein Rodelschlitten. Zum Schluss knallte ich auf einen Stein und blieb liegen.
    Mein Rücken tat schrecklich weh und ich dachte, ich könnte nicht wieder aufstehen.
    Dann ging es doch. Ich dachte an meinen Vater und dass er sich auf mich verlassen hatte, und lief weiter. Und gleich darauf sah ich schon die Sennhütte.
    Das war der schönste Anblick an diesem Tag, noch viel schöner als der Blick vom Gipfel. Denn bei jedem Schritt tat mein Rücken weh und ich dachte: Jetzt kann der Senn meinen Vater retten und ich brauche nicht mehr weiterzulaufen.
    Nicht einmal vor den Kühen hatte ich Angst, so froh war ich. Aber als ich vor der Hütte stand, hing an der Tür ein Zettel.
    ----
    Bin im Dorf.
    Komme abends zurück!
----
    war darauf geschrieben.
    Ich las den Zettel mindestens fünfmal. Ich dachte, ich hätte falsch gelesen. Weil ich nicht glauben wollte, was auf dem Zettel stand, wummerte ich gegen die Tür, so laut ich konnte. Niemand kam heraus.

    Jetzt wusste ich nicht mehr, was ich machen sollte. Mein Rücken tat weh, ich war pitschnass und meine Zähne klapperten vor Kälte. Und es regnete immer noch. Ich wollte mich vor die Tür setzen und warten. Doch da fiel mir wieder mein Vater ein, wie er zwischen den Felsen lag, mit diesem komischen Gesicht, das ganz anders aussah als sonst.
    »Auf dich kommt es an, Starker Bär«, hatte er gesagt. Ich wusste, dass ich meinen Vater nicht im Stich lassen durfte, bloß weil mein Rücken wehtat. Ich stand auf und ging weiter.
    Ich ging über die
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