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Der zweite Tod

Der zweite Tod

Titel: Der zweite Tod
Autoren: Daniel Scholten
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gemein, alle zur falschen Zeit erbaut und so hässlich zu sein, dass sich die Angestellten auf den Winter freuten, wenn sie das Gebäude bei Dunkelheit betreten und wieder verlassen konnten. Der Architekt musste sich nach einer Normandiereise in früher Jugend offenbar in der Tradition deutscher Gefechtsbunkerkonstrukteure gesehen haben. Der Komplex erstreckte sich vom Kronobergspark mehrere Blocks weit bis hin zum Rathaus. Die Gruppe residierte in einem der oberen Geschosse des Vorderhauses mit Blick auf den Park. Sie hätten ein noch größeres Büro zwei Häuser weiter bekommen können, aber dann wären alle dreißig Minuten Hubschrauber einen halben Meter über ihrem Kopf gelandet und gestartet. Von hier aus konnte Kjell sogar das Sankt-Erik-Gymnasium zwei Straßen weiter sehen. In der Etage kursierte der Witz, dass Linda ausgerechnet dieses Gymnasium besuchte, damit Vater und Tochter sich den ganzen Tag zuwinken konnten. Aber die Wahrheit war, dass Linda diese Schule gewählt hatte, weil sie einen Kunstzweig anbot und von allen Stockholmer Gymnasien am wenigsten Physik.
    Das älteste Mitglied der Gruppe war Henning Larsson. Er würde demnächst fünfzig werden und zugleich auch Kommissar. Henning blickte auf ein raues Leben zurück, war in jungen Jahren im Sommer zur See und im Winter Taxi gefahren. Dabei war er auch noch zwanzig Jahre lang schlecht verheiratet gewesen. Das hatte ihn am meisten gegerbt. Seit zwei Jahren war er umso glücklicher geschieden und entfaltete sich in seiner alten Dreizimmerwohnung, die er jetzt ganz für sich allein hatte. Seine Ehe war nicht gerade explodiert, ihr Ende hatte mehr einem Schlauchboot geglichen, das unbemerkt gegen einen spitzen Stein aufläuft. Auch beruflich war sein Stern lange Zeit gesunken, bevor Kjell ihn zu Beginn des Jahres in die Gruppe berief. Im Hinblick auf seine Körperfülle und seinen Spürsinn wäre es mühsam und teuer gewesen, ihn in Gold aufzuwiegen. Er war karg an Worten, aber im Gegensatz zu Sofi verbarg sich hinter seiner Schweigsamkeit nichts, was er zurückhielt.
    Sofi Johansson war ein leiser Mensch. In ihrem zehnten Lebensjahr hatte das Jugendamt sie aus Karlstad in Westschweden zu einem älteren Bauernpaar ins hintere Värmland gebracht, wo sie den Rest ihrer Kindheit gelebt hatte. Wer wie ihre Pflegeeltern vierzig Jahre verheiratet ist und einen Hof führt, auf dem sich jahrein, jahraus alle Verrichtungen wiederholen, spricht nicht viel, und so war daher auch Sofi. Woher die üppigen Brüste stammten, die er ihr in der Nacht angedichtet hatte, würde für immer ein Rätsel bleiben. Im Gegenteil, Gott war bei Sofis Erschaffung vorsichtig und feinsinnig ans Werk gegangen, und um Sofi schwebte eine Wolke von Unantastbarkeit. Ihr stilles Wesen ließ ihren schlaksigen Körper grazil wirken, jedenfalls solange sie keinen Schraubenzieher in die Hand nahm, was ein-, zweimal am Tag passieren konnte. Sie war dunkel, man nahm an, dass ihr leiblicher Vater aus einem Land im Süden stammte, aber dieses Geheimnis hatte ihre Mutter mit ins Grab genommen.
    Mit ihren fünfundzwanzig Jahren war Soft Johansson eigentlich viel zu jung für die Reichsmordkommission und die Taktische. Ihre Altersgenossen arbeiteten allesamt noch bei der Schutzpolizei oder als Anfänger bei der lokalen Kripo. Kjell hatte sie im Frühsommer auf einer Großbesprechung unter den anderen Anwärtern entdeckt und wie einen Goldschatz aus ihrem Revier in Norrmalm geborgen. Ausgerechnet Norrmalm, hatte er gesagt, da gehört sie ja nun wirklich nicht hin.
    Barbro Setterlind fiel das rötlich blonde Haar in leichten Kurven gerade so über die Schultern. All ihre taillierten Blusen mündeten oben in einem hohen Kragen, der Barbros Hals noch schmaler wirken ließ. Sie wirkte mit ihren dünnen Lippen und ihrem Parfüm, das einem das ganze Jahr über gnadenlos Frühlingsgefühle aufzwang, ein wenig hart und fleischlos. Dagegen standen ihre kastanienbraunen Augen und die karibische Gelassenheit, mit der sie den Alltag wie von einem Hochsitz aus an sich vorbeiziehen ließ.
    Sie war vierunddreißig Jahre alt und gemäß ihres Zehnjahresplans noch für mindestens sieben Jahre unverheiratet. Der laufende Zehnjahresplan sah nur Emelie vor, ihre zweijährige Tochter. Barbro und Emelie wohnten in einer Etage am Strandvägen über der Wohnung ihrer Eltern, denen das ganze Haus gehörte sowie große Teile vom Rest der Welt. Der abgelaufene Zehnjahresplan war ganz auf Männer ausgerichtet gewesen und hatte
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