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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral
Autoren: Boris von Smercek
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Briefkasten befand sich drei Blocks weiter.
    Beim Überqueren der Straße war nur ein kleiner Teil seiner Aufmerksamkeit auf die Autos gerichtet. Der weitaus größere Teil war damit beschäftigt, die Menschen in seiner Umgebung zu taxieren. Passanten, Obdachlose, Schüler. Mütter mit Kinderwagen. Alle waren schwarz. Kein einziger Weißer. Kaum Mulatten.
    Und niemand, der wie ein arabischer Killer aussah.
    Nangala spürte, wie seine Angst sich allmählich verflüchtigte. Gleichzeitig mahnte er sich zur Vorsicht. In seinem Gewerbe konnte das Blatt sich sehr schnell wenden.
    Einen Häuserblock vor dem Briefkasten betrat er das Reeds, eine Kneipe, die er schon oft aufgesucht hatte. Das Essen dort war zwar überteuert und schmeckte wie aufgewärmtes Styropor, aber dafür gab es dort eine Toilette mit breiten Fenstern, durch die auch ein Mann seiner Größe problemlos hindurchschlüpfen konnte.
    Genau das tat er jetzt und fand sich in einem beengten, schattigen Hinterhof wieder, wo er sich im Schacht einer Kellertreppe ganz in der Nähe versteckte. Nach zehn Minuten war er sicher, dass er seine Verfolger zum Narren gehalten hatte. Er beschriftete das Couvert, trat wieder hinaus auf die Straße und bummelte zum Briefkasten. Im Vorbeigehen warf er den Umschlag ein. Alles lief reibungslos, und die Anspannung fiel von ihm ab wie eine Zentnerlast. Erleichtert schlenderte er weiter.
    Eine halbe Stunde später saß Nangala in einem Internet-Café und trank eine Cola. Nebenher schrieb er ein paar E-Mails.
    Als er am Nachmittag in sein Apartment zurückkehrte, wusste er sofort, dass jemand im Zimmer gewesen war. Wenn er außer Haus ging, legte er das Telefonkabel stets in Form einer Acht auf den Nachttisch, um sicherzugehen, dass seine Leitung nicht heimlich angezapft wurde. Jetzt bildete das Kabel eine Art Schneckenhaus. Jemand war im Zimmer gewesen.
    Ich muss mir eine neue Unterkunft suchen, schoss es Nangala durch den Kopf.
    Durch das gekippte Fenster hörte er, wie eine Autotür zuschlug. Ein ganz gewohntes, alltägliches Geräusch, dennoch weckte es in dieser Situation Nangalas Aufmerksamkeit. Er warf einen Blick auf die Straße hinunter und sah die beiden Männer. Keine Schwarzen, sondern Araber. Sie trugen Jeans und weite Pullover. Pullover – bei dieser Hitze. Bestimmt dienten sie nur dazu, Waffen zu kaschieren.
    Nangala wusste, dass er schnellstens von hier verschwinden musste. Er machte auf dem Absatz kehrt und stürmte die Treppen hinunter. Wie schon am Vormittag, wählte er auch diesmal den Hinterausgang. Ein lähmender Schock fuhr ihm durch dieGlieder, als er feststellte, dass hier zwei weitere Männer postiert waren. Ebenfalls Araber. Insgesamt stand es nun vier gegen einen. Ein unfaires Spiel.
    Die beiden Kerle im Hinterhof riefen sich etwas zu, während sie gleichzeitig unter ihre Pullover griffen. Nangala stürzte ins Treppenhaus zurück und schlug die Tür hinter sich zu. Was nun?
    Er traf eine Entscheidung und rannte zur Vordertür. Vielleicht konnte er die beiden Killer auf der Straße überrumpeln. Zumindest lag das Überraschungsmoment auf seiner Seite.
    Er stieß die Tür auf, stürmte ins Freie. Die beiden Araber starrten ihm verblüfft entgegen. Er hielt auf sie zu wie ein Wirbelsturm. Der schwarze Tornado. Er fegte sie beiseite wie Strohpuppen, doch er wusste, dass es ihm nur einen winzigen Vorsprung verschaffen würde.
    Schon hörte er Stimmen hinter sich. Und Schritte. Die Kerle verfolgten ihn. Nangala sprintete die Straße entlang, ohne sich umzudrehen. Wie lange würde es dauern, bis eine Kugel ihn zwischen den Schulterblättern traf?
    Er schlug einen Haken, bog in eine Seitengasse ein. Hier herrschte deutlich weniger Verkehr; es gab weniger Fußgänger und weniger Hindernisse. Aber auch weniger Schutz. Nangala rannte um sein Leben. Sein Herz hämmerte wild, und das Blut rauschte durch seine Schläfen, laut wie ein Wasserfall. Er konnte nicht hören, ob er noch immer verfolgt wurde.
    Anthony Nangala keuchte. Weshalb gab es in dieser verfluchten Straße keinen Eingang zu einem Hinterhof? Nichts als Wände und verschlossene Türen. Eine Falle. Er versuchte, die Distanz bis zum Ende der Gasse abzuschätzen. Fünfzig, sechzig Meter.
    Das schaffst du!
    Endlich war er da. Die Straße, auf der er sich nun befand, war wieder belebter. Völlig außer Atem kämpfte er sich durch die Fußgängermenge.
    Durch das Dröhnen des Wasserfalls in seinen Ohren drang ein anderes Geräusch: quietschende Autoreifen,
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