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Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Titel: Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
Autoren: Hans Pfeiffer
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lädt er die Teekiste ab und bringt sie in die Todeskammer. Nachdem sie Mary in die Kiste gelegt und diese mit dem Deckel verschlossen haben, tragen sie ihre Fracht hinaus auf den Handwagen und fahren davon.
    Wenig später biegen sie auf den Surgeon's Square ein.
    Hier steht ein düsterer roter Ziegelbau. Ein verwittertes Schild weist ihn als MEDIZINISCHE SCHULE aus. Burke und Hare fahren den Handwagen auf den Hof. Während Hare als Wache am Wagen zurückbleibt, geht Burke durch den Hintereingang in das Gebäude, um den Schuldiener Ferguson zu suchen. Er findet ihn in einer Kammer, wo er chirurgische Instrumente reinigt.
    »Wir haben wieder eine Ware, Ferguson.«
    Ferguson fordert Burke auf, draußen zu warten. Er werde den Professor benachrichtigen. Burke kehrt zu Hare auf den Hof zurück. Die beiden brauchen nicht lange zu warten. Ferguson tritt aus der Haustür und fordert sie auf, die Ware hereinzubringen.
    Burke und Hare laden die Kiste auf die Schultern. Sie kennen den Weg, sie sind ihn schon oft gegangen, wenn sie frische Ware brachten. Über eine Treppe und mehrere Gänge gelangen sie zum Anatomiesaal.
    Ferguson öffnet ihnen die Tür. Burke und Hare treten ein. Auch die großen hohen Fenster geben an diesem düsteren Novembertag dem Raum nur wenig Helligkeit. An einem Tisch neben einem Fenster stehen mehrere Studenten. Sie hantieren mit Skalpellen an irgendeinem menschlichen Körperteil und beachten Burke und Hare kaum. Sie wissen, was die beiden bringen, das schafft eine Art kumpelhafter Vertrautheit.
    Ferguson läßt die Teekiste in einem Nebenraum abladen. Hier entnehmen Burke und Hare der Kiste Marys Leiche und legen sie auf einen Tisch. Zusammen mit Ferguson entkleiden sie die Tote. Die Kleidungsstücke werfen sie in die Teekiste, die sollen noch an den Trödler verkauft werden.
    Dann warten sie schweigend auf den Professor. Endlich erscheint Professor Knox. Es ist nicht sein massiger, in einen dunkelgrauen Frack und eine hellblaue Hose gezwängter Körper, der selbst in den mörderischen Seelen eines Burke und Hare Schauder erweckt. Es ist die Aura der Wissenschaft, die den Professor unsichtbar umgibt und ihn zum Herrn über die Geheimnisse des Lebens und des Todes macht. Knox ist Anatom. Er lehrt Anatomie und lebt von der Anatomie. So wie auch Burke und Hare von ihr leben. Das verbindet sie mit dem Professor. Trotzdem ist ihnen dumpf bewußt, daß Welten sie vom Professor trennen, sie, die ihm die Toten liefern, von ihm, der sie aufschneidet und ihr Inneres bis in die letzten Verästelungen erforscht.
    Burkes und Hares junges Unternehmen erwächst auf dem Sumpfboden gärender gesellschaftlicher Widersprüche. Britannien steht an der Schwelle der industriellen Revolution. Das Maschinenzeitalter ist angebrochen. Technischer Fortschritt auf der einen Seite wird mit unvorstellbarem Elend auf der anderen Seite bezahlt. Die Naturwissenschaften entwickeln sich zugleich mit neuen technischen Bedürfnissen und treiben hinwiederum diese voran. Für Chemie, Physik und Medizin beginnt eine neue Epoche von Entdeckungen und Erkenntnissen.
    Nur ein Bereich der Medizin ist noch vom wissenschaftlichen Fortschritt ausgeschlossen: die Anatomie.
    Schon im Altertum suchten Ärzte das Innere des menschlichen Körpers, den rätselhaften Zusammenhang seiner Lebensfunktionen, zu ergründen. Sie gewannen einzelne, oft noch groteske Einsichten. Die Entdeckerfreude zur Zeit der Renaissance erschloß sich rasch immer neue Erkenntnisse über den Bau und das Zusammenspiel der Organe. Kühn setzten sich die Anatomen des 16. und 17. Jahrhunderts über das Sektionsverbot der mittelalterlichen Kirche hinweg. Das Dogma von der Auferstehung des Leibes am Jüngsten Tag erforderte, den toten Körper unversehrt dem Grab und der künftigen Auferstehung zu übergeben. Nur wenige Päpste waren aufgeklärt genug, anatomische Studien zuzulassen.
    Ansonsten jedoch bestand das Sektionsverbot weiterhin und konnte nur allmählich im Lauf von Jahrhunderten in kirchenunabhängigen Forschungszentren wie Brüssel, Paris, Padua, Bologna aufgeweicht und damit praktisch beseitigt werden. Nur in Britannien blieb das Sektionsverbot unangetastet, selbst noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts, während sich auf dem europäischen Festland die Anatomie bereits zu einer wesentlichen Grundlage medizinischen Fortschritts entwickelt hatte.
    So standen englische Anatomen im Konflikt zwischen mittelalterlichem Gesetz und modernen wissenschaftlichen Bedürfnissen. Sie
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