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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor
Autoren: Tom Holt
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pißt und deine Weinpfähle aus dem Boden reißt. Wenn du dir in den kleinen Zeh schneidest, dann sag dir: ›Das war Perikles’ Schuld.‹ Wenn es bei der Weinlese regnet, dann sag dir: ›Perikles hat schon wieder Regen gemacht‹. Ich möchte, daß du für alles, was in deinem Leben schiefgeht, dein Feindbild verantwortlich machst. Auf diese Weise bildet sich in deinen Gedärmen – wie ein langsam anwachsendes Stück Scheiße – eine Art Klumpen, den du nur noch irgendwie rauszudrücken brauchst, und schon fängst du mit dem Komödienschreiben an. In den ersten Stunden wirst du zwar nur ordinäre Beschimpfungen wie ›Perikles hat Eier wie ein Kamel‹ zustande bringen, aber schon bald wirst du erkennen, daß so etwas nichts bringt. Du wirst feststellen, daß du gut schreiben mußt, wenn du jemandem schaden willst, damit das Publikum beim Lachen Partei für dich und gegen deinen Feind ergreift. Ich selbst bin immer noch nicht gut genug, um die Zuschauer dahin zu bringen, aber was soll’s? Eines Tages werde ich ihn schon bei den Eiern zu fassen kriegen, und dann kann ich mich endlich zur Ruhe setzen und Bohnen anbauen.«
    »Das schaffst du nie«, wandte mein Onkel ein. »Oder hast du wirklich keine Ahnung, wie die Athener sind?«
    »Ich bin jetzt seit fünfzehn Jahren Komödiendichter«, antwortete Kratinos. »Ich kenne die Athener besser als jeder andere Mensch.«
    »Nein, das glaube ich nicht«, widersprach mein Onkel. »Du weißt lediglich, wie man die Athener zum Lachen bringt, und das ist ein Handwerk wie Kesselflicken. Aber wie man die Leute zum Funktionieren kriegt, weißt du offensichtlich nicht, denn sonst würdest du nämlich nicht immer noch versuchen, im Theater eine Botschaft zu vermitteln. Wenn du wüßtest, wie deine Mitbürger wirklich sind, hättest du inzwischen längst begriffen, daß sie nichts mehr schätzen als den Spaß an Worten. Die Perser haben eine Schwäche für Gold, die Spartaner für Mut und Tapferkeit, die Skythen für Wein und die Athener für kluge Reden. Die Sache ist doch folgendermaßen: Ein Athener hört viel lieber die Beschreibung eines Banketts im großen Königspalast, als selbst einen leckeren Bohneneintopf zu essen, und er zieht es bei weitem vor, für die Annexion der Silbergruben von Thasos zu stimmen, als die eigene Wintergerste zu ernten.« Philodemos hielt kurz inne, nahm einen kräftigen Schluck Wein und fuhr fort: »Du meine Güte! Was glaubst du eigentlich, warum wir das Theater erfunden haben? Und, da wir gerade dabei sind, warum haben wir deiner Meinung nach überhaupt eine Demokratie? Bestimmt nicht, weil die Demokratie zu einer besseren Regierung führt, da trifft wohl eher das Gegenteil zu, das weißt du genauso gut wie ich. Nein, wir haben diese Staatsform, weil man in einer Demokratie die beste Rede halten muß, wenn man seinen eigenen Willen durchsetzen will. Nach diesen ganzen Reden gehen dann die Bauern, Kaufleute und Handwerker morgens allesamt mit dem herrlichsten Blödsinn im Kopf aus der Volksversammlung und glauben, ihnen gehöre die Welt. Auf diese Weise ist auch dein geliebter Perikles zum Lieblingsneffen von Zeus geworden – durch kluge Reden nämlich. Und gerade durch solche Leute wie dich kann er sich auf diesem Posten halten. Denn sowie sich die Nebelschleier, den die ganze Redekunst in den Köpfen hervorruft, verzogen haben und die Wähler wieder einmal einen Rechenschaftsbericht über die öffentlichen Ausgaben sehen wollen, kreuzt du mit deinen unglaublich komischen Theaterstücken und glänzenden Reden auf, und alle versinken mit Haut und Haaren in deinen Worten.«
    »Moment mal!« unterbrach ihn Kratinos. »Ich schreibe klügere Reden als irgendwer sonst in Athen. Wenn die Athener immer das täten, was der beste Redner verlangt, warum rösten dann nicht in diesem Moment Perikles’ Eier an einem meiner Fleischspieße dahinten über dem Feuer?«
    »Weil deine Reden nur im Theater vorgetragen werden«, antwortete mein Onkel. »Und deshalb werden sie auch von niemandem ernst genommen. Die Zuschauer reagieren ihren Ärger über Perikles einfach dadurch ab, daß du ihn zum Gespött machst. Und wenn er dann beim nächstenmal in der Versammlung aufsteht und einen Feldzug zur Eroberung des Mondes vorschlägt, stehen sie nur da und verschlingen seine goldenen Worte so gierig wie vom Baum gefallene Feigen. Im Theater macht man sich über die Heerführer lustig, und in der Versammlung wählt man sie.
    Ich hatte eigentlich immer gedacht, daß du
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