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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor
Autoren: Tom Holt
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einem reichen Kornhändler namens Zeuxis gehabt, der irgendwo aus der Nähe von Mytilene stammte. Wenn Sie, werter Leser, ein Exemplar von Kratinos Stück Ameisen besitzen (ich selbst habe leider keins mehr, weil ich Narr mein Exemplar vor Jahren an irgendwen verliehen habe), dann finden Sie darin, soweit ich mich erinnere, sogar eine Anspielung auf diese Affäre. Jedenfalls war die damalige Pest eine dieser Krankheiten, die man sich durch direkten Körperkontakt mit anderen Leuten zuziehen kann, und ich vermute, meine Tante hat sich bei Zeuxis angesteckt und ich mich wiederum bei ihr. Ich erinnere mich noch deutlich, daß sie mir bei meiner Ankunft einen dicken Kuß gab, den ich mit dem Handrücken wegwischte, als sie gerade wegschaute.
    Ungefähr einen Tag nach diesem Besuch fingen diese fast unerträglichen Kopfschmerzen hinter der Stirn und den Schläfen an, als hätte irgendein Tölpel eine Kohlenpfanne in meinem Gehirn umgestoßen und damit ein Feuer entfacht. Als nächstes begannen die Augen wie beim Zwiebelschälen zu brennen, und dann ging irgend etwas ganz Furchtbares in meinem Mundraum vor. Ich bemerkte sogar selbst, daß mein Atem nach verwesendem Fleisch roch, und zudem war die Zunge geschwollen und furchtbar schmerzempfindlich geworden.
    Mein Großvater, bei dem ich nach dem Tod meines Vaters lebte – ich glaube, zu der Zeit war ich zwölf –, sah mich nur einmal kurz an, diagnostizierte sofort die Pest und sperrte mich zu den Ziegen und Eseln in den Stall. Als er den Riegel vor die Tür legte, höre ich ihn noch heute wie damals sagen, daß das letzte, was er gebrauchen könne, ein von der Pest verseuchtes Haus sei, und falls das die Art der Götter sei, ihn für die liebevolle Aufnahme von Waisen zu belohnen, müsse er seinen theologischen Standpunkt noch einmal gründlich überdenken. Zum Glück hatten wir damals ein libysches Dienstmädchen, und diese Frau hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß ihre schwarze Haut sie vor der Seuche schütze. Sie glaubte, wenn sie mich fütterte und sich um mich kümmerte und ich dadurch meine Gesundheit wiedererlangen würde, dann wäre mein Großvater so glücklich, daß er ihr womöglich die Freiheit schenken und die Hochzeit mit seinem Hilfsverwalter gestatten würde. Deshalb brachte sie mir jeden Tag die Essensreste vom Tisch und einen Krug mit frischem Wasser in den Stall.
    Und so war ich wieder einmal in der Gesellschaft von Ziegen, und die Krankheit trat in die nächste Phase ein. Fast einen ganzen Tag lang mußte ich ununterbrochen husten und niesen. Ich spuckte Galle in allen erdenklichen Farben. Es war zum Beispiel ein seltsamer Gelbton dabei, den ich seitdem nie wieder gesehen habe, außer einmal in einigen ziemlich teuren persischen Wandteppichen, die jemand auf dem Markt verkaufte. Dann bekam ich kleine Bläschen auf der Haut, die unerträglich juckten, aber ich glaube, irgendein Gott muß mir zugeflüstert haben, nicht zu kratzen, und irgendwie habe ich das dann auch geschafft. Doch das allerschlimmste war der Durst, der wortwörtlich unbeschreiblich war, und hier rettete mir wahrscheinlich die lieblose Behandlung meines Großvaters das Leben – mir standen täglich nur ein paar Becher Wasser zu Verfügung, und manchmal sogar überhaupt keins, wenn die Magd nicht aus dem Haus kam oder mich einfach vergessen hatte. Wie ich nämlich später erfuhr, wurden die Leute, die so viel trinken konnten, wie sie wollten, unweigerlich dahingerafft. Ich bin wirklich der festen Überzeugung, daß mich die Götter vor der Seuche bewahrt haben, da mir durch diesen Wassermangel der mörderische Durchfall erspart blieb, der mehr Menschen dahinraffte als die Pest selbst und ihr zwangsläufig auf dem Fuß folgt wie ein streunender Hund einem Wurstmacher. Ohne Nahrung und ohne Wasser hatte ich schließlich nichts im Magen, was ich hätte von mir geben können, und so blieben meinem Körper die Krämpfe der Diarrhö erspart, und ich überlebte.
    Mir ist vollkommen klar, daß ich während dieser Krankheit ein ziemlich abstoßender Stallgefährte war, aber bis zum heutigen Tag habe ich den Ziegen und Eseln nicht verziehen, wie sie sich mir gegenüber verhalten haben, denn das war von offener Ablehnung meiner Person nicht weit entfernt. Sind sie etwa nahe an mich herangekommen, haben sie beruhigend auf mich eingemeckert und meiner fiebrigen Stirn durch ihre Zungen Linderung verschafft, wie sie es den alten Geschichten zufolge tun sollten? Nichts dergleichen! Sie zogen sich
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