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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter
Autoren: James A. Owen
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kratzigen, aber nicht unangenehmen Stimme, »dieser Wattreau scheint den Kapitän wohl doch betrogen zu haben. Ich hoffe um seinetwillen, dass er schwimmen kann.«

 
KAPITEL ZWEI
Alraune
     
    Beinahe eine Stunde lang saß Fischmehl auf seinem Feldbett und starrte den Kopf an. Der auf dem umgedrehten Karton ruhende Kopf starrte zurück, bis er es nicht mehr aushielt. »Wenn du die ganze Nacht hier sitzen und mich anglotzen willst, dann gehe ich ins Bett«, sagte der Kopf.
    »Aber… aber du bist nur ein Kopf«, sagte Fischmehl.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Können denn Köpfe schlafen?«
    »Ich sag dir Bescheid, wenn ich es versucht habe. Das ist mein erster Tag als Kopf«, gab der Kopf zu. »Aber ich nehme an, es wird nicht viel anders sein als vorher – abgesehen davon, dass ich keine Blähungen mehr haben werde und per Paketpost reisen kann.«
    »Was ist mit dir passiert?«
    Der Kopf seufzte. »Ein äußerst dreister und dummer Junge namens Shingo hat beschlossen, dass es der Welt ohne mich besser gehen würde, und das Ergebnis siehst du vor dir. Ich muss sagen«, fügte er hinzu, »er hat einen guten Schlag – ein sehr sauberer und gerader Schnitt.«
    »Warum wollte dieser… Shingo dich umbringen?«
    »Äh, nun, das ist ein bisschen kompliziert«, sagte der Kopf.
    »Wieso, hast du mit seiner Schwester geschlafen?«
    »Mit seiner Mutter, wenn ich ehrlich bin.«
    Fischmehl nickte wissend. »Das erklärt alles. Ich hätte das Gleiche mit dir gemacht, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre.«
    »Vielen Dank auch.«
    »Nichts für ungut.«
    »Schon in Ordnung«, sagte der Kopf. »Ich wünschte nur, er wäre ein klein wenig vernünftiger gewesen – ich war noch nicht ganz bereit für diese schwerwiegende Veränderung in meinem Leben.«
    »Ich habe in meinem Leben schon eine Menge Köpfe gesehen«, erklärte Fischmehl. »Allerdings sind mir noch nie welche untergekommen, die noch gesprochen haben, nachdem sie von ihrem Körper abgetrennt waren. Wie machst du das?«
    Der Kopf streckte die Zunge heraus. »Eng mange kunge ngin ngagige lumen engegitscht.«
    »Also bitte«, sagte Fischmehl, »du musst nicht gleich grob werden.«
    »Nein, nein, nein«, entgegnete der Kopf ärgerlich. »Ich habe gesagt: ›In meine Zunge sind magische Runen eingeritzt.‹ Ich wollte sie dir bloß zeigen.«
    »Hmm«, brummte Fischmehl. »Mach nochmal den Mund auf, wenn es dir nichts ausmacht.«
    Der Kopf tat, worum er ihn gebeten hatte, und Fisch betrachtete ihn genau – in seine Zunge waren in der Tat irgendwelche Buchstaben geritzt. »Das sieht aus, als hätte es weh getan«, sagte Fischmehl.
    »Wenn du meinst, dass das schlimm war, dann solltest du dir mal den Kopf abschlagen lassen.«
    »Diese… Runen sind es also, die dich am Leben halten?«
    »Im Grunde, ja.«
    »Das ist unglaublich. Woher hast du die?«
    »Jemand hat mir damit einen Gefallen getan«, sagte der Kopf.
    »War ein gutes Geschäft«, sagte Fisch aufrichtig. »Schließlich scheinen sie ihre Aufgabe zu erfüllen.«
    »In der Tat.«
    »Also, erzähl mir mal, was du sonst so getan hast, wenn du nicht gerade mit anderer Leute Mütter ins Bett gegangen bist oder dich in einen körperlosen Kopf verwandelt hast?«
    »Werd nicht unverschämt – Kinder haben heute einfach keinen Respekt mehr vor älteren Menschen.«
    Fischmehl sah beschämt drein und verbeugte sich tief. »Ich entschuldige mich – die Frage war trotzdem ehrlich gemeint.«
    »Na gut«, sagte der Kopf mit einem anzüglichen Grinsen. »Eigentlich habe ich eine Menge Sachen gemacht – ich habe als Fischer gearbeitet, auf einem Bauernhof und sogar in einem Schlachthaus – doch die Berufung, die mir am meisten bedeutet hat, und noch immer zu meiner Seele spricht, ist die des Skalden.«
    »Ah, was?«
    »Ein Skalde – Barde wäre ein anderer Begriff dafür, obwohl ich annehme, im weitesten Sinne könnte man mich einen Geschichtenerzähler nennen.«
    »Ich mag Geschichten«, sagte Fisch und deutete auf die prallgefüllten Bücherkästen zu beiden Seiten des Kopfes. »Warum erzählst du mir nicht eine?«
    »Was, hier? Jetzt?«
    »Hast du was Besseres vor?«
    Der Kopf verdrehte missmutig die Augen. »Also gut.« Und damit begann er seine Geschichte.
     

     
    »Vor langer Zeit lebte einmal ein König, der hatte sieben Söhne. Die liebte er so sehr, dass er es nicht ertragen konnte, von allen sieben auf einmal getrennt zu sein. Das war natürlich nicht möglich, denn als seine Söhne heranwuchsen, sehnten sie
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