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Der Zauberstein von Brisingamen

Der Zauberstein von Brisingamen

Titel: Der Zauberstein von Brisingamen
Autoren: Alan Garner
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Kopf.
    Komischerweise waren ihre Beine spindeldürr, sodass ihre Silhouette der eines wohlgenährten Spatzen glich, laut Susans Beschreibung.
    All dies nahmen Colin und Susan wahr, als sie sich dem Wagen näherten, während die Fahrerin sie ihrerseits, allerdings viel dreister, von oben bis unten musterte.
    «Ist dies die Straße nach Macclesfield?», fragte sie, als die Kinder vor ihr standen.
    «Ich fürchte, das weiß ich nicht», sagte Colin. «Wir sind eben erst hier angekommen.»
    «Ach? Dann werdet ihr mitfahren wollen. Steigt ein!»
    «Danke», sagte Colin. «Aber wir wohnen auf dem Hof da vorne.»
    «Steigt hinten ein.»
    «Nein, wirklich. Sind doch nur ein paar Meter.»
    «Steigt ein!»
    «Aber wir…»
    Die Augen der Frau blitzten wütend auf und ihre Wangen röteten sich. «Ihr – werdet – jetzt – hinten – einsteigen!»
    «Wirklich, das lohnt doch gar nicht mehr. Wir würden Sie nur aufhalten.»
    Die Frau sog scharf die Luft durch die Zähne. Ihre Augäpfel verdrehten sich nach oben und die Lider schlossen sich, bis nur noch ein bedrohlicher weißer Strich zu sehen war. Und dann begann sie mit sich selbst zu flüstern.
    Colin fühlte sich höchst unbehaglich. Sie konnten doch nicht einfach losgehen und diese seltsame Frau mitten auf der Straße stehen lassen; aber sie führte sich dermaßen unangenehm auf, dass er fortlaufen wollte.
    «Omptator», sagte die Frau.
    «Ich… wie bitte?»
    «Lapidator.»
    «Was?»
    «Somniator.»

    «Wie…?»
    «Qui libertar opera facitis… »
    «Ich bin in Latein nicht besonders gut…»
    Colin wollte jetzt wegrennen. Die musste verrückt sein. Dem war er nicht gewachsen. Seine Stirn war schweißbedeckt, und ein stechendes Kribbeln durchlief seinen Körper.
    Da bellte nahebei laut ein Hund. Die Frau stieß einen unterdrückten Wutschrei aus und wandte sich um. Die Spannung löste sich und Colin sah, dass er mit seinen Fingern schon den Griff der Wagentür umklammert hielt; die Tür stand halb offen.
    «Still, Scamp», rief Gowther scharf.
    Er kam aus dem Hoftor und über die Straße, Scamp stand etwas weiter oben auf dem Hügel, näher am Wagen, und knurrte böse.
    «Hier! Bei Fuß!» Widerstrebend schlich Scamp zu Gowther zurück, der den Kindern zuwinkte und auf das Haus zeigte, um anzudeuten, dass der Tee wartete.
    «D-das ist Mr. Mossock», sagte Colin. «Der wird Ihnen den Weg nach Macclesfield erklären können.»
    «Zweifellos!», schnaubte die Frau, und ohne ein weiteres Wort warf sie sich in den Wagen und fuhr davon, mit einem Gesicht wie eine Gewitterwolke.
    «Na!», sagte Colin. «Was hatte das zu bedeuten? Die muss nicht ganz richtig im Kopf sein! Ich dachte, die kriegt einen Anfall! Was meinst du, was mit ihr los war?»
    Susan gab keine Antwort. Sie lächelte blass und zuckte mit den Schultern; erst als Colin und sie am Hoftor waren, sprach sie.
    «Ich weiß nicht», sagte sie. «Kommt es von der Hitze oder vom vielen Wandern – aber die ganze Zeit, als du mit ihr sprachst, hatte ich das Gefühl, ich würde ohnmächtig. Das Merkwürdigste aber ist, dass mein Tropfen ganz trüb geworden ist.»
    Susan mochte ihren Tropfen sehr. Ein kleines Stück Kristall in der Form eines Regentropfens, ein Geschenk ihrer Mutter, die es hatte einfassen und an einem silbernen Kettenarmband anbringen lassen, das Susan immer trug. Der Stein war makellos, aber als sie noch sehr klein gewesen war, hatte Susan entdeckt, dass, wenn sie ihn auf eine bestimmte Weise hielt, sodass er das Licht einfing, sie tief im Innern des Kristalls, kilometerweit weg, oder so schien es jedenfalls, eine sich windende blaue Feuersäule sehen konnte, immer in Bewegung, nie verlöschend, lebendig und sehr schön.
    Bess Mossock hatte vor Freude in die Hände geklatscht, als sie den Tropfen an Susans Handgelenk erblickt hatte. «Oh, wenn das nicht der Brautstein ist! Nach all den Jahren!»
    Susan war verwirrt gewesen, doch Bess hatte erklärend hinzugefügt, dass «dieser hübsche Tautropfen» ihr von ihrer Mutter geschenkt worden sei, die ihn von ihrer Mutter bekommen hatte, und so weiter, bis seine Herkunft und die Bedeutung seines Namens mit den Generationen verloren gegangen sei. Sie habe ihn der Mutter der Kinder geschenkt, da
    «er immer die Blicke der Kinder auf sich zu ziehen pflegte und deine Mutter machte da keine Ausnahme!»
    Bei diesen Worten hatte Susan ein langes Gesicht gemacht.
    «Nun denn», sagte sie, «dann sollst du ihn jetzt wiederhaben, denn er ist offenbar ein
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