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Der Zauberstein von Brisingamen

Der Zauberstein von Brisingamen

Titel: Der Zauberstein von Brisingamen
Autoren: Alan Garner
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Zwar hat Neil Beck geschworen, sie habe es einmal gesehen, doch wurde sie allgemein für verrückt gehalten; und als sie gestorben war, begrub man sie unter einem Hang beim Wald von Brindlow auf einem Feld, das bis zum heutigen Tag ihren Namen trägt.

Erster Teil

Erstes Kapitel
    Highmost Redmanhey
    Der Schaffner klopfte im Vorbeigehen an die Tür des Abteils. «Wilmslow fünfzehn Minuten!» «Danke!», rief Colin.
    Susan begann die Überbleibsel ihrer Reise aufzuklauben –
    Apfelkerne, Orangenschalen, Butterbrotpapier und Zeitschriften –, während Colin das Gepäck aus dem Netz wuchtete. Binnen drei Minuten saßen die beiden ganz vorne auf ihren Sitzen – Koffer in der Hand und Mantel überm Arm
    – wie alle Reisenden zu allen Zeiten in jener Erregung am Ende einer Fahrt, wenn es nichts mehr zu tun und keine Zeit zum Entspannen mehr gibt. Diese letzten Kilometer waren die längsten von allen.
    Auf dem Bahnsteig des Bahnhofs von Wilmslow drängten sich die Menschen und noch mehr ergossen sich aus dem Zug; doch Colin und Susan fiel es nicht schwer, Gowther Mossock unter den Wartenden auszumachen. Er hatte gewartet, bis die Flut der Reisenden an ihm vorbei und durch die Ausgänge gewogt war und nur noch die Kinder einsam am hinteren Ende des Bahnsteigs übrig blieben, nun winkte er und schritt ihnen entgegen. Er war ein Mann wie eine Eiche: nicht übermäßig groß, dafür massiv wie ein Felsen – wie ein Fass aus Fleisch, Knochen und Muskeln. Er hatte ein rundes und glänzendes Gesicht, in dem blaue Augen mit dem Mund um die Wette lächelten. Über seinem Rücken spannte sich eine Tweedjacke, und seine wie die Balken eines alten Hauses gebogenen Beine staken in Kniehosen, die unmittelbar über seinen kräftigen Waden in dicken Wollstrümpfen steckten. Auf seinem Kopf saß ein alter, formloser Filzhut, und beim Gehen schlugen die Nägel in seinen Schuhen Funken aus dem Bahnsteig.
    «Hallo! Ihr seid also Colin und Susan.» Seine Stimme war hoch und ungestüm, aber mild – wie ein Herbstwind.
    «Stimmt», sagte Colin. «Und Sie sind Mr. Mossock?»
    «Der bin ich – aber von ‹Mr. Mossock› will ich nichts mehr hören, ja? Nennt mich Gowther. Und jetzt kommt, wir müssen los. Bess wartet mit dem Essen, und der Weg nach Haus ist weit.»
    Er nahm ihre Koffer und führte sie die Stufen zum Bahnhofsvorplatz hinunter, wo eine grüne Landkutsche mit hohen roten Rädern, vor die ein weißes Pferd mit zottiger Mähne und ebensolchen Fesseln gespannt war, auf sie wartete.
    «Hoch mit dir, Scampi», rief Gowther, während er die Koffer hinten auf die Kutsche lud. Ein gescheckter Jagdhund, der auf einer Decke geschlafen hatte, erhob sich und beäugte aufmerksam die Kinder, als sie auf den Kutschbock kletterten.
    Gowther setzte sich zwischen sie, und auf ging’s unter der Bahnhofsbrücke durch, dem Ziel ihrer Reise entgegen.
    Bald ließen sie das Dorf hinter sich und fuhren eine durch weite Felder führende Allee entlang. Sie sprachen über dies und jenes, und Scamp fasste nach und nach Zutrauen zu den Kindern: Er schob seinen Kopf auf den Sitz zwischen Susan und Gowther. Auf einmal fragte Colin: «Was um alles in der Welt ist das?»
    Sie waren gerade um eine Ecke gebogen: Einen guten Kilometer vor ihnen erhob sich jäh zwischen den Feldern ein lang gestreckter Berg. Er war hoch und wirkte unheimlich und finster. An seiner rechten Flanke hoben sich die Türme und Giebel großer Häuser gegen den Himmel ab; sie überragten die Bäume, die den größten Teil des Berges bedeckten.

    «Das ist der Edge», sagte Gowther. «Hundertachtzig Meter hoch und fast fünf Kilometer lang. Ihr werd’ da ‘ne tolle Zeit verbringen, sag ich euch. Die Leute meinen immer, Cheshire wär platt wie ‘n Pfannkuchen – ist es auch fast überall, aber nicht da, wo wir leben!»
    Sie fuhren so dicht an den Edge heran, bis er sich hoch über ihnen türmte; dann bogen sie nach rechts auf eine Straße, die am Fuß des Bergs entlanglief. Auf der einen Seite lagen nun die Felder, auf der anderen der steile Hang. Die Bäume standen bis an die Straße; es waren hohe Buchen, die im sachten Wind miteinander zu flüstern schienen.
    «Ich find’s ein bisschen gruselig», sagte Susan.
    «Tja, das sagen so manche; aber gebt man nicht so viel auf das Gerede der Leute. – Wir fahren jetzt an Alderley vorbei, ist eigentlich ein kleiner Umweg. Aber ich mach mir nicht viel aus der Hauptstraße mit ihrem Lärm und ihren Abgasen, und Prinz hier auch nicht. Wir
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