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Der Zauberspiegel

Der Zauberspiegel

Titel: Der Zauberspiegel
Autoren: Lynn Carver
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muss.«
    Sie stieß sich vom Bus ab und zog Juliane mit in das Innere des Fahrzeugs. Juliane lümmelte sich in einen der Sitze und zog ihren MP3-Player heraus.
    »He, schau mal, bevor du wieder blind und taub für deine Umgebung bist.« Chantal holte einen unförmigen Joint aus ihrer Jackentasche und hielt ihn Juliane hin.
    »Spinnst du? Tu den weg!«
    »Was meinst du, wie lustig das wird? Wir warten, bis der olle Niemeyer seine Runde gedreht hat und dann machen wir uns einen schönen Abend.« Sie warf ihr einen herausfordernden Blick zu. »Oder willst du mich verpfeifen?«
    Juliane schüttelte den Kopf. »Weißt du, dass sie uns von der Schule werfen, wenn sie uns mit dem Ding erwischen?«
    Plötzlich starrte ein pickliges Gesicht auf Juliane und Chantal herab. »Was habt ihr da?«, fragte Andrea mit schriller Stimme. »Einen Joint?«
    Chantal wedelte mit der rechten Faust, während sie das Dope mit der linken in ihrer abgewetzten Jacke verschwinden ließ. »Verzieh dich! Ist nicht Zeit für dein jährliches Bad?«
    Beleidigt setzte sich Andrea wieder.
    Juliane stieß Chantal an. »Wenn sie uns verpetzt, sind wir geliefert.«
    »Blödsinn und selbst wenn, meinst du, der Niemeyer durchsucht mich?« Chantal grinste. Sie machte eine Kopfbewegung zum vorderen Sitz. »Kein Aas kümmert sich um das Gerede von der da!«
    Juliane schnaubte und wandte sich der Musik zu.
     
    Die Schulklasse wartete vor der Jugendherberge. Juliane lehnte gelangweilt an der Hauswand. Chantal stand neben ihr und suchte fahrig ihre Taschen ab.
    »Sag mal, hast du Läuse, oder was?«, fragte Juliane.
    »Ich find D u-weißt-schon- W as nicht mehr.«
    »Alle mal herhören«, rief der Klassenlehrer Niemeyer energisch.
    Es dauerte ein Weilchen, ehe das Hagelgewitter aufgeregter Mädchenstimmen verstummte. Der Lehrer, seine Begleiter, der Busfahrer und eine Lehrerin blickten ungewöhnlich ernst. Juliane überkam eine böse Vorahnung. Chantal hielt inne und erstarrte, als sie die unordentlich gedrehte Fluppe in Niemeyers Händen erkannte.
    »Wem gehört dieser Joint?«
    Andrea drehte sich um und warf Juliane und Chantal ein fieses Grinsen zu, bevor sie sagte: »Ich weiß …«
    Sie schlagen mich tot, wenn ich von der Schule fliege!
    Sie starrte Chantal an. Noch nie hatte sie Chantals Gedanken empfangen. Sie sah so bleich aus, dass im Vergleich dazu ein Vampir aussehen musste, als käme er direkt von der Sonnenbank.
    Plötzlich fügten sich kleine Details zu einem Bild zusammen. Die blauen Flecken auf Chantals Rücken, die kreisrunden Narben auf ihren Armen.
    Julianes Magen zog sich zusammen und sie ballte die Fäuste. Sie konnte Gewalttätigkeiten nicht ausstehen, und der Gedanke, dass Chantal zu H ause misshandelt wurde, verursachte ihr Zahnschmerzen. Andrea würde sie verpetzen, doch Juliane wollte verhindern, dass sie beide bestraft wurden.
    Sie trat vor. »Das ist meiner, Herr Niemeyer.«
    Der Lehrer musterte Juliane streng. Obwohl sich in ihrem Magen ein watteweiches Gefühl breitmachte, erwiderte sie den Blick fest.
    »Komm mit!«
    Als er Juliane an den anderen vorbeiführte, fühlte sie die Blicke ihrer Mitschülerinnen auf sich ruhen. Ihr war so elend vor Angst, dass in ihrem Kopf Sendepause herrschte.
    Herr Niemeyer brachte sie in einen Aufenthaltsraum und deutete ihr an, sich an einen der Tische zu setzen.
    »Das hätte ich nie von dir erwartet, Juliane!« Er ließ sich kopfschüttelnd auf einem Stuhl nieder. »Setz dich endlich.«
    Sie beschloss, so wenig wie möglich zu sagen. Je weniger sie erzählte, umso geringer die Gefahr, sich zu verplappern oder in Widersprüche zu verstricken. Nur dann würde Niemeyer ihre Lüge schlucken. An der Wand hing eine Uhr. Juliane beobachtete, wie der Zeiger das Zifferblatt entlangschlich. Sie wandte sich dem Lehrer zu, als dieser sich vernehmlich räusperte.
    »Du weißt, dass ich deine Eltern informieren muss?«
    »Mein Vater ist die nächsten Monate in Saudi-Arabien«, murmelte Juliane, um Zeit zu gewinnen, und starrte wieder auf die Uhr. Ihre ältere Schwester Constanze lebte noch zu Hause. Wenn sie sich nicht allzu blöd anstellte, konnte sie vorgeben, ihre Mutter zu sein. Das würde ihr wenigstens einen kleinen Aufschub gewähren, ehe ihre Eltern von der Sache erfuhren.
    Herr Niemeyer erklärte ihr, was nun geschehen würde, doch Juliane hörte nicht länger zu. Erst, als er sein Handy herauszog und sich die Telefonnummer ihrer Eltern geben ließ, konzentrierte sie sich wieder auf ihn. Angespannt
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