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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn
Autoren: Rupert Sheldrake
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der spirituellen Sphäre an. Niemand wusste die Beziehung des Geistes zur Körper-Maschine zu erklären, aber Descartes mutmaßte, die Zirbeldrüse sei die Kontaktstelle, jenes tannenzapfenähnliche kleine Organ, das etwa in der Mitte des Gehirns zwischen den beiden Hemisphären eingebettet ist. [35]
    Nach einigen anfänglichen Reibereien – am bekanntesten dürfte der 1633 von der Kirche gegen Galilei geführte Prozess sein – gingen Naturwissenschaft und Christentum im gegenseitigen Einvernehmen ihre getrennten Wege. Die naturwissenschaftliche Arbeit war einigermaßen frei von Einmischungen seitens der Kirche, und andererseits legte sich die Naturwissenschaft auch nicht mit der Kirche an. Das änderte sich allerdings mit dem Aufstieg des militanten Atheismus gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Das stoffliche Universum – Sterne, Planeten, Pflanzen, Tiere und auch der menschliche Körper – waren die Domäne der Naturwissenschaft. Alles Übrige, nämlich Gott, Engel, Geister und die menschliche Seele, bliebe der Religion. Selbst Stephen Jay Gould verteidigte dieses Arrangement noch als »vernünftige Position des allgemeinen Konsenses«. Er nannte es die Doktrin der getrennten Lehren. Das Hoheitsgebiet der Naturwissenschaft erstrecke sich »auf das Reich des Empirischen: woraus die Welt gemacht ist (Fakten) und warum sie so funktioniert, wie sie funktioniert (Theorie). Die Lehr-Hoheit der Religion umfasst die Fragen der moralischen Werte und des letzten Sinns.« [36]
    Doch ungefähr seit der Zeit der Französischen Revolution ( 1789 –1799 ) lehnten militante Materialisten dieses Arrangement als intellektuell unredlich ab und sahen es nur noch als Zuflucht für geistig Minderbemittelte. Für sie gab es fortan nur noch
eine
Realität: die materielle Welt. Das Reich des Geistigen existierte einfach nicht. Götter, Engel und Geister waren menschliche Einbildung, und der Menschengeist selbst war nichts weiter als eine Seite, ein Nebenprodukt der Gehirntätigkeit. Übernatürliche Instanzen, die in den mechanischen Lauf der Natur eingriffen, existierten nicht. Es gab nur noch eine Lehre, nämlich die der Naturwissenschaft.

Der atheistische Glaube
    Die materialistische Philosophie erlangte ihre Vormachtstellung in der institutionalisierten Naturwissenschaft in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, und das stand in engem Zusammenhang mit dem Umsichgreifen des Atheismus in Europa. Für die Atheisten des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist die Richtigkeit der materialistischen Lehre genau wie für ihre Vorgänger eine ausgemachte wissenschaftliche Tatsache, nicht etwa bloß eine Annahme.
    Als sich das noch mit dem Gedanken verband, das gesamte Universum sei nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik eine Maschine, der langsam der Dampf ausgeht, mündete die materialistische Philosophie in ein trübseliges Weltbild ein, wie es in den Worten des Philosophen Bertrand Russell zum Ausdruck kommt:

    Dass der Mensch ein Produkt von Ursachen ist, die nicht vorhersahen, auf was sie hinauslaufen würden; dass seine Entstehung, sein Wachsen, sein Hoffen und Fürchten, all sein Lieben und Glauben nur das Ergebnis zufälliger Zusammenstöße von Atomen sind; dass kein Feuer, kein Heldentum, keine Inbrunst des Denkens und Fühlens ein Leben über das Grab hinaus erhalten kann; dass all den Mühen aller Zeitalter, aller Hingabe, aller Inspiration, allem mittaghellen menschlichen Genie der Untergang im gewaltigen Tod des Sonnensystems bestimmt ist; und dass der ganze Tempel menschlicher Errungenschaften unwiderruflich vom Schutt eines in Trümmern fallenden Universums begraben sein wird – all das ist zwar nicht gänzlich unwidersprochen, aber doch der Gewissheit so nahe, dass keinem Philosophen, der es bestreitet, viel Hoffnung auf Anerkennung gemacht werden kann. Nur im Gerüst dieser Wahrheiten, nur auf dem Boden endgültiger Verzweiflung kann künftig die Wohnstatt der Seele gebaut werden. [37]

    Wie viele Wissenschaftler glauben denn an diese »Wahrheiten«? Manche akzeptieren sie fraglos. Aber es gibt auch viele, deren persönliche Philosophie oder religiöse Orientierung ihnen dieses »wissenschaftliche Weltbild« etwas beschränkt erscheinen lassen, bestenfalls als Halbwahrheit. Und auch innerhalb der Wissenschaft selbst lassen Disziplinen wie evolutionäre Kosmologie, Quantenphysik und Bewusstseinsforschung die Standarddogmen der Naturwissenschaft inzwischen etwas altmodisch aussehen.
    Dass Wissenschaft und
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